Die Aspern-Schriften (German Edition)
Asperns Hand berührt worden ist, äußerste erotische Kühnheit in einem ansonsten geradezu puritanischen Text mit »low amatory coefficient« (wie einer seiner Ärzte Henry James einmal diagnostizierte) – eine solche Lichtgestalt ist Ursache und Motiv, fast szenische Folie, Teil des Bühnenbilds in Gestalt eines Porträts in diesem düsteren Drama, wie James in seiner theatralischen Formulierung sagt.
Den Hinweis muss man ernst nehmen: Er hat seine Erzählung wie ein Theaterstück angelegt, ein Kammerspiel, Drama in drei Akten mit einem Epilog. Zur Symmetrie der Anlage gehören drei Protagonisten: der Erzähler, ein alters- und namenloser Literat ohne Aussehen. Die Alte, steinalt und unsichtbar. Die Jüngere, alterslos und ohne Aussehen; sowie drei Nebenfiguren: Mrs. Prest, mütterliche Freundin, meist in der Sommerfrische. Ein Diener, Analphabet und in Maßen ergeben, für Intrigen ungeeignet. Ein Dienstmädchen, rothaarige Venezianerin, wahrscheinlich von Tizian, für Affären im Haus ungeeignet. Allen gemeinsam ist ihre Gesichtslosigkeit.
Erster Akt: Exposition und Entfaltung des Motivs, zweiter Akt: Durchführung des Plans bis zur Klimax, dritter Akt: Absturz und Katharsis. Epilog: Versuch, das Scheitern in Gewinn umzumünzen.
Doch wer ist gescheitert und wer triumphier t ? Das klassische Drama liebt den Umkehrschluss, der biblischen Weisheit von den Letzten und den Ersten folgend, und folgerichtig hat James sein Theaterstück nach den Ordnungsgesetzen des klassischen Dramas gebaut, bei dem die Einheit von Zeit, Ort und Handlung gewahrt werden muss.
Die erzählte Zeit währt einen Sommer lang, und symbolisch entfaltet sie sich in einem Garten von dessen Anlage, dem Umgraben und Bewegen von Erdmassen, über das erste Aufblühen bis zu seiner vollen Prachtentfaltung. Dann entschwindet der Garten aus dem Blickfeld, als sei er verblüht, und damit ist der venezianische Sommer vorbei. Jedes Stadium seines Wachsens und Gedeihens korrespondiert mit dem inneren Zustand der Protagonisten. Die Anlage von Lauben spielt auf die romantische Idee der Liebeslaube an, die hier jedoch zum Treffpunkt mit ambivalenten Intentionen gefriert. Wer sich in dieser Laube einem Gespräch hingibt, muss bei jedem Wort auf der Hut sein. Die metaphorische Bedeutung des Gartens und seiner Blumenpracht darf in keinem Moment unterschätzt werden. Jeden Tag einen Arm voll Blumen für die Damen, das grenzt an Überwältigung, das weckt Erstickungsfantasien. Wie soll die Jüngere eine solche Wucht der Zuwendung anders auffassen denn als Werbung. Er macht ihr den Hof, unverkennbar, und gibt doch vor, genau das nicht zu wollen. Als er aber, um für Undank zu bestrafen, seine überbordenden Lieferungen von Blumensträußen einstellt, straft er sich selbst. Er muss erkennen, wie noch manch anderes Mal, dass es auch ohne ihn geht. Uneingeladen betritt Miss Tina den Garten aus eigenem Entschluss und nimmt damit etwas in Besitz, was ihr gehört, der Erzähler jedoch als seinen Herrschaftsbereich betrachtet hatte. Das mutet wie eine Versuchshandlung an, eine Machtprobe. Am Garten erprobt Miss Tina ihre Eigenständigkeit. In dem Augenblick darf man für sie hoffen.
Der Erzähler widerum erprobt seine Macht an der Art seines Erzählens. An seinem Umgang mit der Zeit. Seitens des Autors kann man James bescheinigen, dass er den kunstvollen Umgang mit dem Tempus unvergleichlich beherrscht. Auf raffinierte Weise wird das Kontinuum der erzählten Zeit aufgebrochen durch ein ständiges Springen der Zeitperspektive. Der Erzähler wechselt vom Nacherzählen zum Berichten, vom Vorgreifen zur Rückblende und zur Rückkehr in die Erzählzeit, so dass ein zeitliches Flirren und damit ein besonders intensives Empfinden von Jetztzeit entsteht, fast ein Gefühl von Stillstand im Hier und Jetzt. Das ist die Einheit der Zeit. Sie ist wie ein großes Erwarten, in dem der Leser genau so unwissend ist wie der Erzähler und ihm seine zunehmende Ratlosigkeit glaubt, wenn der sich auch in seiner stets kommentierenden Wahrnehmung gern als der sähe, der die Fäden in der Hand hält. Ein Puppenspieler. Wir aber sehen die Fäden deutlicher, an denen er selbst als Marionette hängt.
Einheit der Zeit bedeutet auch: Die Venezianer verlassen, wie jeden Sommer, die Stadt, überlassen sie den Fremden, nicht nur denen mit dem Baedeker in der Hand. Der Autor schickt die Mitinitiatorin des Übels, die für den Anschub des Dramas gesorgt hat, in die Sommerfrische und entledigt sich
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