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Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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wilde, unbestimmte Bewegung, und ehe ich mich ’s versah, fand ich mich an der Tür wieder. Ich erinnere mich, wie ich dort stand und sagte: »Es würde nicht funktionieren, es würde nicht funktioniere n !« Und ich sagte es gedankenschwer, unbeholfen, beinahe lächerlich, während ich woandershin schaute, zur gegenüberliegenden Seite der sala , als gäbe es dort etwas Interessantes zu sehen. Das Nächste, woran ich mich erinnere, war, dass ich mich unten und außerhalb des Hauses befand. Dort lag meine Gondel, und mein Gondoliere, der es sich in den Kissen gemütlich gemacht hatte, richtete sich auf, sobald er mich sah. Ich sprang hinein, und auf seine übliche Frage » Dove command a ?« antwortete ich in einem Ton, der ihn erstarren ließ: »Irgendwohin, nur fort; hinaus in die Lagun e !« Er ruderte mit mir davon, und ich saß niedergeschmettert da und stöhnte leise vor mich hin, den Hut tief über die Stirn gezogen. Was in aller Himmel Namen hatte sie gemeint, wenn nicht, mir ihre Hand anzubieten? Das war der Preis, das also war der Prei s ! Und dachte sie etwa, ich wollte ihn haben, die eigensinnige arme Frau, die sich Illusionen hingegeben hatte, die völlig vernarrt war? Mein Gondoliere, der hinter mir stand, muss gesehen haben, wie meine Ohren rot wurden, als ich darüber nachsann, bewegungslos dasitzend unter der flatternden tenda , mein Gesicht weiterhin unter dem Hut versteckt, sodass ich nichts wahrnahm, während wir dahinglitten – als ich also darüber nachsann, ob ihre Verblendung, ihre Vernarrtheit von mir selbst leichtsinnig verschuldet waren. Hatte sie etwa gedacht, ich mache ihr den Hof, nur um an die Papiere heranzukommen? Ich hatte es nicht getan, nein, ich hatte es nicht getan; ich wiederholte es mir immer und immer wieder, eine Stunde, zwei Stunden lang, bis ich erschöpft war, wenn auch nicht überzeugt. Ich weiß nicht, wohin in der Lagune mein Gondoliere mit mir fuhr; wir trieben ziellos und mit nur wenigen langsamen Ruderschlägen dahin. Irgendwann wurde ich gewahr, dass wir uns nahe dem Lido befanden, weit draußen und rechter Hand, wenn man Venedig den Rücken zukehrt, und ich ließ mich dort an Land setzen. Ich wollte gehen, mich bewegen, etwas von meiner Bestürzung abwerfen. Ich überquerte den schmalen Landstreifen und gelangte zum Strand auf der Meerseite – dort ging ich weiter in Richtung Malamocco. Doch plötzlich warf ich mich auf den warmen Sand nieder, in die Meeresbrise, ins trockene harte Gras. Der Gedanke ließ mir keine Ruhe, ich hätte den schrecklichen Fehler begangen, zwar unabsichtlich aber nichtsdestoweniger beklagenswert, leichtfertig mit ihr umgegangen zu sein. Aber ich hatte ihr keinen Grund gegeben – nein, ganz entschieden nicht. Zwar hatte ich zu Mrs. Prest gesagt, dass ich ihr den Hof machen würde; aber es war ein Scherz ohne alle Konsequenzen gewesen, und zu meinem Opfer hatte ich so etwas nie gesagt. Ich war so freundlich wie möglich gewesen, weil ich sie wirklich gern mochte; aber seit wann war das ein Verbrechen, zumal wenn eine Frau von solchem Alter und solcher äußeren Erscheinung betroffen war? Ich bin weit davon entfernt, mich klar an die Abfolge von Ereignissen und Empfindungen zu erinnern, die dieser lange Tag voller Wirrnisse mit sich brachte und den ich ausschließlich mit Umherwandern verbrachte; erst spät in der Nacht kehrte ich nach Hause zurück. Nur eines fällt mir wieder ein, dass es Momente gab, in denen ich mein Gewissen beruhigte, und andere, in denen ich es aufstachelte, bis es schmerzte. Den ganzen Tag lang lachte ich nicht – daran erinnere ich mich genau; mir gab der Fall gar keinen Grund zur Heiterkeit, wie auch immer er anderen vorgekommen sein mag. Vielleicht hätte ich besser daran getan, ihn von der komischen Seite zu betrachten. Ob ich nun Grund gegeben hatte oder nicht, auf jeden Fall bestand kein Zweifel, dass ich den Preis nicht bezahlen konnte. Ich konnte den Antrag nicht annehmen. Ich konnte nicht für ein Bündel zerfetzter Papiere eine lächerliche, weinerliche, provinzielle alte Frau heiraten. Es war doch ein Beweis, wie wenig sie selbst davon überzeugt war, dass diese Idee mir gefallen könnte, dass sie sich entschlossen hatte, sich in dieser vernünftigen, folgerichtigen, heroischen Weise zu erklären – jedoch mit der Schüchternheit, die so viel anrührender ist als die Kühnheit, sodass der Eindruck entstand, ihre Verstandesgründe kämen erst und dann ihre Gefühle.
    Je weiter der Tag voranschritt,

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