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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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Schnur war noch um seine Finger gewickelt, und die durchtrennten Enden baumelten daran herab, als er nach meinem Hals griff.
    Unwillkürlich riss ich den Dolch hoch. Die Welt war noch zu grau und nebelhaft für klare Gedanken.
    Die Klinge traf ihn in die Brust. Ich spürte, wie sie durch Haut und Fleisch drang und über Knochen schabte, als sie tiefer und tiefer vorstieß, bis das Heft die Vorwärtsbewegung aufhielt. Der Mann kippte nach vorn, und sein Gewicht drückte mir den Dolchgriff gegen die Brust.
    Einen Lidschlag lang sah ich nacktes Entsetzen in den Augen des Mannes und spürte für einen winzigen Moment, wie seine Hände sich lose um meinen Hals legten, dann pressten mir die vom Dolchgriff verursachten Schmerzen den Atem aus den Lungen. Ich stemmte mich nach vorn, drückte den Mannzur Seite, ließ mich auf Hände und Knie fallen und hechelte wie ein Hund. Schmerz strahlte von der Mitte meiner Brust aus. Es war nicht die feurige Pein der Atemnot, auch nicht der kalte Schmerz des warnenden Feuers, sondern das dumpfe Pochen eines zu jähen Herzschlags.
    Ein paar Augenblicke keuchte ich noch, dann übergab ich mich.
    Ich kauerte gekrümmt auf Händen und Knien und spürte die Galle wie ätzende Säure in meiner geschundenen Kehle, als jemand sagte: »Beeindruckend.«
    Ruckartig wich ich vor der Stimme zurück. Ein Speichelfaden, der von den Lippen baumelte, klatschte mir gegen das Kinn, als ich mich bewegte. Mit einem dumpfen Laut prallte ich gegen die Gassenmauer und duckte mich, um ein möglichst kleines Ziel zu bieten. Meine gemarterten Rippen sandten grelle Schmerzen durch meinen Körper. Meine Hand tastete unwillkürlich nach dem Dolch, doch der steckte noch in der Brust meines Angreifers.
    Mein Herz schlug rasend schnell, und ich duckte mich tiefer, den Kopf gesenkt, und schlang die Arme um die Knie. Ich zitterte heftig, viel zu geschwächt vom Kampf gegen den unbekannten Mann, als dass ich hätte flüchten können. So kauerte ich mit geschlossenen Augen da und hoffte, die Stimme würde verschwinden.
    Ich hörte nichts, weder die Stimme des Mannes noch sich entfernende Schritte. Ich schlug die Augen auf, spürte die Nässe meiner Tränen im Gesicht, neigte den Kopf und starrte durch das verfilzte Gewirr meiner Haare in die Gasse.
    Ein Gardist lehnte zwanzig Schritte entfernt an der Mauer. Die Leichen des Mannes und der Frau lagen zwischen uns. Es war derselbe Gardist, den ich zuvor auf der Straße gesehen hatte. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt; seine Haltung wirkte ungezwungen. Er trug die übliche Uniform – Hose, Lederstiefel, braunes Hemd, Lederrüstung darunter –, aber keinSchwert um die Hüfte. Stattdessen steckte ein Dolch an seinem Gürtel. Das Symbol des Geisterthrons war mit rotem Faden auf die linke Seite des Hemds gestickt.
    Rot. Ein Sucher. Ein Gardist also, der entsandt wurde, um die Bestrafungen zu vollziehen, die von der Regentin angeordnet wurden, und Urteile zu vollstrecken. Keiner der gewöhnlichen Gardisten; andernfalls wäre die Stickerei golden gewesen.
    Wieder kroch mir Furcht in den Magen.
    Der Gardist hatte gesehen, wie ich einen Mann getötet hatte.
    Mit einem seltsamen, verwirrten Ausdruck beobachtete er mich. Eine steile Falte stand zwischen seinen Augenbrauen, und er hatte die Lippen zusammengepresst.
    Nach einer Weile verlagerte sein Blick sich von mir auf den Leichnam des Mannes.
    »Sehr beeindruckend«, meinte er abermals; dann stieß er sich von der Wand ab.
    Ich zuckte zurück. Meine Schultern schabten über die schimmelige Nässe der Lehmziegel, der Atem stockte mir in der Brust. Wieder schmeckte ich Galle, und ich spürte, wie sich frische Tränen durch meine vor Schmerzen zugekniffenen Augen pressten.
    Ich hörte, wie der Gardist stehen blieb.
    »Ich bin nicht deinetwegen hier«, sagte er mit strenger, zugleich jedoch besänftigender Stimme.
    Ich öffnete die Augen zu Schlitzen, gerade weit genug, dass ich ihn beobachten konnte.
    Er schritt auf den toten Mann zu und kauerte sich neben dessen Kopf.
    Einen langen Augenblick starrte er in das Gesicht des Mannes und das dünne Blutrinnsal, das dem Toten aus dem Mundwinkel rann. Dann spuckte er zur Seite aus und verzog verächtlich das Gesicht. »Mieser Dreckskerl! Du hättest Schlimmeres verdient gehabt als das hier!«
    Mit einem Ruck zog er meinen Dolch aus der Brust desMannes und vollführte mit einer geübten Bewegung drei rasche Schnitte über dessen Stirn. Kurz betrachtete er sein Werk; dann drehte er

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