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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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harrte ich noch zehn Herzschläge lang aus; dann erhob ich mich aus meiner kauernden Haltung und zuckte vor Schmerz zusammen, als ich tief Luft holte. Langsam näherte ich mich den beiden Leichen. Jede Bewegung sandte dumpfeSchmerzen durch meine Brust und in meine Arme. Ein sengendes Feuer brannte um meinen Hals, wo die Schnur des toten Mannes mir ins Fleisch geschnitten hatte, und eine dünnere Linie verlief von meinem Kiefer hinunter zur Kehle, wo ich mir den Dolch in den Hals gedrückt hatte, um die Schnur zu durchschneiden. Immer noch behielt ich den fernen Eingang der Gasse im Auge, konnte ich doch nicht sicher sein, ob der Gardist tatsächlich gegangen war. Doch der Schmerz in meiner Brust …
    Abermals hustete ich und sog zischend die Luft zwischen den Zähnen ein, als ich mich neben den Mann kniete, den ich getötet hatte.
    Seine Züge wirkten seltsam erschlafft, die Augen standen offen. Blut hatte seinen Schlund gefüllt, war aus dem Mundwinkel gequollen und hatte seinen Bart verklebt. Der Gardist hatte ihm den Geisterthron in die Stirn geritzt. Die Schnitte wirkten grob, und es war kaum Blut geflossen. Ein annähernd waagerechter Schnitt oben, zwei senkrechte Schnitte darunter, einer kürzer als der andere. Der Mann war bereits zu lange tot gewesen, als dass viel Blut hätte fließen können.
    Ich beugte mich über sein Gesicht. Ein saurer Gestank nach Harn, Blut, Schweiß und etwas Ranzigem wie verdorbener Butter schlug mir entgegen. Ich starrte in die leeren Augen und runzelte die Stirn, als meine Hand zu der wunden Linie um meinen Hals wanderte. In meiner Brust regte sich kein Aufflackern kalten Feuers. Gar nichts. Die Gefahr war vorüber.
    Doch als ich ihm in die blicklosen Augen sah, spürte ich wieder seinen rauen Bart an meiner Wange, hörte seine rasselnden, mühsamen Atemstöße, roch seinen fauligen Atem …
    Wut schwoll tief in meiner Brust an, ein harter Klumpen inmitten von dumpfem Schmerz. Oh, ich wusste, wie Wut sich anfühlte. In meinem Leben am Siel hatte ich schon viel Male heißen Zorn, ja Hass verspürt – auf den Wagenmeister, der mich getreten hatte; auf den namenlosen Abschaum, der sich in meinenUnterschlupf geschlichen und mir mein Brot gestohlen hatte. Es war ein Hass, der heftig aufloderte, aber rasch wieder verpuffte.
    Diesmal jedoch wollten Wut und Hass nicht von mir abfallen. Je länger ich in die Fratze des Toten starrte, desto mehr verfestigte sich der Hass, nahm wabernd Gestalt an.
    Ich beugte mich näher zum Toten hinunter und sog tief seinen ranzigen Gestank ein.
    Dann spuckte ich ihm ins Gesicht.
    Erschrocken lehnte ich mich zurück und beobachtete, wie mein Speichel über die Haut des Mannes rann. Eine seltsame Erregung erfüllte mich. Meine Arme kribbelten, als wäre es mit einem Mal bitterkalt geworden. Aber mir war nicht kalt. Vielmehr wurde ich von feuchter Hitze umhüllt, die sich wie ein Schweißfilm auf meine Haut legte.
    Ich wandte mich der Frau zu, und unter dem sengenden, Übelkeit erregenden Hochgefühl durchzuckte mich ein Stich des Bedauerns. Ich kroch zu den verstreut liegenden Kartoffeln und dem Korb und sammelte so rasch wie möglich alles ein.
    Dann flüchtete ich in den hinteren Teil der Gasse, weg vom Siel, und versuchte, weder an den toten Mann noch an die tote Frau oder den Gardisten zu denken.
    Stattdessen bündelte ich alle Aufmerksamkeit auf den Schmerz in meiner Brust. Und darunter krümmte sich nach wie vor die schwelende Wut wie eine bösartige Schlange.

Z WEITES K APITEL
    I ch erwachte in meinem Unterschlupf tief in den Elendsvierteln jenseits des Siels. Draußen herrschte heller Sonnenschein. Ich stöhnte, als ich mich in eine sitzende Haltung rollte, mein zerlumptes Hemd anhob und die Verletzung untersuchte. Auf meiner Brust prangte ein schillernder, schwarzlila Bluterguss. Jeder Atemzug, jede Bewegung ließ mich zusammenzucken; dennoch tastete ich die Ränder der Verfärbung ab.
    Dann saß ich da, starrte auf den Korb mit Kartoffeln und dachte an das rundliche Gesicht seiner Besitzerin unter dem Dreieckstuch. Ein Anflug von Bedauern überkam mich, doch unwillig schüttelte ich ihn ab und wandte die Gedanken dem Gardisten und dessen Angebot zu, ihm zu helfen.
    Stirnrunzelnd zückte ich meinen Dolch und starrte auf den Streifen Sonnenlicht, der sich auf der Flachseite der Klinge fing.
    Ich brauchte den Gardisten nicht. Seit ich neun war, hatte ich mich allein durchgeschlagen. Ich hatte ohne jede Hilfe überlebt, seit Tauber und seine

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