DIE ASSASSINE
sich auf den Fußballen zu mir herum, die Ellbogen auf den Knien. Mein Dolch baumelte lose in seiner Hand. Ich behielt die Waffe aufmerksam im Auge, spürte jedoch den durchdringenden Blick des Gardisten. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie wichtig der Dolch im Laufe der vergangenen drei Jahre für mich geworden war. Ohne ihn fühlte ich mich ungeschützt und hilflos.
Ich wollte meinen Dolch zurück. Ich brauchte ihn.
Der Gardist ließ die Klinge vor und zurück schwingen, wie um mich zu verhöhnen. Ich blickte ihm in die Augen. Aus der Nähe sah ich, dass diese Augen schlammig braun waren, so wie die meinen und die der meisten Menschen, die in Amenkor entlang des Siels lebten. Sein Gesicht war von etlichen Narben gezeichnet, die sich bis in sein schütteres, grau-braunes Haar hinzogen. Sie verliehen ihm ein hartes Aussehen, wie das eines verwitterten, von der Sonne gebleichten Lehmziegels.
»Und du«, murmelte er, wobei seine verwirrte Miene zurückkehrte, »du wirkst gar nicht gefährlich. Wie alt bist du? Zehn?« Er beugte sich leicht vor und verengte die Augen; dann schüttelte er den Kopf. »Nein, du bist älter, obwohl du fast jeden täuschen könntest. Du bist dreizehn oder vierzehn, eher noch älter. Und du redest nicht viel.«
Wartend verstummte er. Die Bewegung des Dolchs endete.
»Vielleicht redest du ja überhaupt nicht«, meinte er schließlich und ließ den Dolch wieder schwingen. Die Geste wirkte beiläufig, als wäre ihm die Waffe vollkommen einerlei.
Nun machte auch ich schmale Augen. »Ich kann reden.«
Die Worte kamen rau und trocken über meine Lippen. Meine Stimme klang, als würden Tonziegel aneinandergerieben, und das Reden bereitete mir Schmerzen in Brust und Kehle. Ich wischte mir den Faden aus Speichel und Galle vom Kinn und hustete, weil es in meinem Hals wie Feuer brannte. Selbst dasHusten schmerzte schlimmer als alles, was ich bisher je gespürt hatte.
Der Gardist zögerte; dann nickte er. Um seine Mundwinkel spielte der Ansatz eines Lächelns.
»Das sehe ich. Also redest du bloß nicht viel, wie?«
Ich erwiderte nichts, und sein Lächeln wurde breiter.
Er blickte auf den Dolch, den er immer noch zwischen den Fingern pendeln ließ. Mit einer geschickten Bewegung ließ er ihn in seine Hand schnellen und starrte mich über die Spitze hinweg an. Jede Spur eines Lächelns war nun aus seinem Gesicht verschwunden. Seine Augen blickten kalt, seine Züge waren hart, wie gemeißelt.
»Das ist dein Dolch, nicht wahr?« Der beiläufige Tonfall war aus seiner Stimme verschwunden. Stattdessen klang sie bedrohlich.
Ich wand mich. »Ja.«
Er zeigte keine Regung. Sein stählerner Blick durchbohrte mich weiterhin. »Das ist der Dolch eines Gardisten.«
Meine Augen schnellten zu der Waffe an seinem Gürtel und wieder zurück in sein Gesicht. Ich spürte, wie sich mein bereits schmerzender Magen noch mehr verkrampfte. Vor meinem geistigen Auge sah ich den ersten Mann, den ich getötet hatte, wie er auf dem Sims eines Daches lehnte, die Hand nach mir ausgestreckt; ich sah das Blut, das aus seiner Halswunde schoss, und hörte das nasse Rasseln seiner letzten Atemzüge. Und ich sah die Stelle auf der linken Brust seines Hemds, wo die Goldstickerei des Geisterthrons herausgerissen worden war.
Doch zum ersten Mal seit der Nacht des Feuers ängstigte mich der Gedanke an diesen Mann nicht. Stattdessen schwelten Trotz und Zorn unter meiner schmerzenden Brust.
Mit finsterem Blick sah ich den Sucher an. »Ja. Aber jetzt gehört der Dolch mir.«
Der Gardist runzelte die Stirn. Ich konnte in seinen Augen lesen, was er fragen wollte: wie der Dolch in meinen Besitz gelangtwar, und woher er stammte. Doch er zuckte nur mit den Schultern. »Was dein ist, soll dein bleiben.«
Damit warf er mir den Dolch dicht über den Boden hinweg zu. Metall klirrte auf Stein, als die Klinge über das feuchte Kopfsteinpflaster schlitterte und unmittelbar vor mir zum Liegen kam.
Langsam, ungläubig streckte ich die Hand nach dem Dolch aus und hob ihn auf. Der Griff war klebrig von Blut. Ich nahm den Blick nicht vom Gesicht des Gardisten. Der rührte sich nicht, beobachtete mich nur. Doch irgendetwas hatte sich verändert. In seinen Augen lag nun ein nachdenklicher Ausdruck, als versuchte er, mich einzuschätzen und zu einer Entscheidung zu gelangen.
Ich zog den Dolch dicht an meinen Körper, hielt ihn bereit.
Der Gardist musterte mich eingehend, ohne ein Wort zu sagen. Dann stand er auf. »Du kennst den Irrgarten auf
Weitere Kostenlose Bücher