DIE ASSASSINE
Mündung der Gasse und ins helle Sonnenlicht.
Perci widersetzte sich und verzog trotzig das Gesicht, doch als der Griff der Frau noch fester wurde, ließ er sich fortziehen. Ich kauerte mich hinter das Fass, als sie sich in Bewegung setzten, und entspannte mich erst, als sie im Fluss der Menschen am Rand der Gasse verschwanden.
Meine Hand schloss sich um den Dolch, und ich zog mich weiter hinter das Fass zurück. Eine neuerliche Woge der Übelkeit überfiel mich, die mehr auf Furcht und Beklommenheit zurückzuführen war als auf die Nachwehen der Benutzung des Flusses.
Auf der Straße tummelten sich Menschen zwischen Wagen, die von Pferden gezogen wurden. Die meisten trugen Ranzen und kleine, mit Zwirn verschnürte Bündel, ein paar auch Körbe, aus deren angehobenen Deckeln Brotlaibe hervorlugten. Sämtliche Gewänder, die ich sah, waren makellos und zeigten bunte Farben – leuchtende Blautöne, dunkles Rot, helles Gelb. Die Männer waren mit Hosen, Stiefeln, weißen Hemden, Westen und breiten Gürteln mit offen zur Schau getragenen Beuteln bekleidet. Die Frauen trugen Kleider mit langen Ärmeln und Sandalen und hatten sich die langen Haare mit dünnen Lederriemen zurückgebunden. Manche trugen Hüte oder gefaltete Kopftücher. Sie bewegten sich ohne Hast und hoch erhobenen Hauptes, den Blick fest nach vorn gerichtet.
Sie zeigten keine Angst.
Zwei schwarze Pferde gerieten in Sicht, angeschirrt vor einen … einen Wagen? Nein, das war kein Wagen. Es war eine Art geschlossener Raum mit einer kleinen Tür an der Seite. Durch das Fenster in dieser Tür konnte ich einen Mann mit schmalem, kantigem Gesicht erkennen.
Als er sich in meine Richtung drehte, duckte ich mich hinter das Fass.
Der Anblick des von Pferden gezogenen Zimmers, der Kleider, der Farben fühlte sich wie ein Tritt in den Magen an. Was hatte ich getan? Dies hier war nicht der Siel. Dies war Amenkor. Das wahre Amenkor. Ich gehörte nicht hierher, kannte die Straßen und Gassen nicht. Ich wusste nichts von den Menschen, ihren Gewohnheiten und Verhaltensweisen. Sie kleideten sich anders, schienen sich anders zu bewegen, ja, der ganze Fluss der Straße wirkte anders, gemächlicher, weniger gehetzt.
Mich überkam das heftige Verlangen, auf der Stelle zurückzukehren; es schnürte mir die Kehle zu und ließ mich nicht mehr los. Davonzulaufen, zu flüchten, sich in der Unterwelt des Siels zu verkriechen.
Doch kaum hatte dieses Verlangen mich erfasst, wurde es auch schon von Verzweiflung zerschlagen.
Ich konnte nicht zurück in die Elendsviertel. Nicht jetzt. Nie wieder. Erick würde nach mir suchen. Und der Ort, an dem er zuerst nachsehen würde, wäre mein Unterschlupf.
Wo er den toten Blutmal finden würde. Und dann würde Erick wissen, dass ich Blutmal getötet hatte.
Schuldgefühle erfassten mich. Und Scham, als ich mir vorstellte, wie Erick neben Blutmals Leiche kniete und sie auf Spuren und Hinweise absuchte. Doch er würde keine Bestätigung seines Verdachts brauchen, wer den Dolch in Blutmals Hals gestoßen hatte.
Ich nahm zwei lange, tiefe Atemzüge und spürte, wie die Scham wich und von Bedauern verdrängt wurde. Ich bedauerteallerdings nicht, dass ich Blutmal getötet hatte, sondern nur, dass ich dadurch Erick verloren hatte.
Plötzlich dachte ich an den letzten Anblick Ericks am Nymphenbrunnen, wo ich ihn zum ersten Mal unter dem Fluss gesehen hatte, sein Wesen eine seltsame Mischung aus Grau und Rot. Niemand war mir je zuvor in beiden Farben erschienen. Wer harmlos war oder keine unmittelbare Gefahr darstellte, war stets grau – alle anderen waren rot.
Was hatte diese Mischung zu bedeuten? Konnte Erick irgendwie beides sein? Harmlos und gefährlich zugleich?
Oder war die Erklärung nicht gar so einfach?
Ich dachte zurück an Erick vor dem Eisentor, auf der Jagd nach Jobriah, dem ersten Opfer, zu dem ich ihn geführt hatte. An jenem Tag war er gefährlich gewesen – so düster und gefährlich, dass ich vor ihm zurückgeschreckt war. Seither hatte ich diesen düsteren Ausdruck viele Male in seinen Augen gesehen. Und jedes Mal hatte ich mich schaudernd von ihm zurückgezogen.
Aber ich konnte noch immer seine Arme spüren, als er mich gehalten hatte, während ich ihm von dem ehemaligen Gardisten erzählte, der mich vergewaltigen wollte, und davon, wie ich den Dolch gestohlen und den Mistkerl getötet hatte, als das Weiße Feuer durch die Stadt raste. Damals hatte ich mich an Erick geschmiegt, hatte mich von ihm trösten
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