DIE ASSASSINE
die Tür hinter mir. In der Nische stehend, blickte ich zum Himmel, betrachtete die Sterne und den Mond, sah sie so wie in der Nacht des Weißen Feuers – klar, schillernd und rein. Und ich spürte das Feuer in mir, wo seine Flamme unter dem frostigen Abdruck der Hand auf meiner Brust brannte. Ich fühlte, wie es mich durchdrang, nicht schmerzhaft und sengend, sondern sanft und behutsam.
Es erfüllte mich mit einer übernatürlichen Ruhe, so wie damals in jener Nacht vor vielen Jahren.
Ich schaute hinunter in die Dunkelheit des Siels, richtete mich auf, spähte mit schmalen Augen in seine Tiefen.
Dann tauchte ich in den Fluss. Tief. Noch tiefer. Bis ich das Ziehen der vereisten Hand spürte, bis ich sie riechen konnte – wie Raureif, der mir in der Nase brannte und sich wie eiskaltes Metall auf meiner Zunge anfühlte.
Ich entfernte mich von der Tür des mehlweißen Mannes, huschte in eine Gasse …
Und tauchte ein in die Tiefen.
Ich folgte dem Geruch, während der Fluss mich seidig umgab. Ich strömte von Gasse zu Gasse, von Hof zu Hof, durch verbogene Eisentore, vorbei an bröckelnden Statuen. Ich durchquerte verlassene Gebäude mit ausgeweidetem Inneren und eingestürzten Mauern. Ich sah die grauen Schatten von Menschen, die in dunklen Winkeln kauerten; es waren sehr viel mehr als vor dem Feuer. Als ich durch eine Gasse lief, hörte ich ein tiefes Knurren, schaute auf und sah einen Hund mit gebleckten Zähnen. Sabber tropfte ihm aus dem Maul. Die Augen blickten wirr, schwarz und gehetzt. Speichel verkrustete seine Schnauze, und Blut sickerte aus seinen Augen. Die Hinterläufe waren zu schwach, als dass sie das Tier noch hätten tragen können, und so lag es in seinen eigenen Ausscheidungen, unfähig, sich zu bewegen.
Ich hielt inne, starrte auf die Kreatur und vernahm ihr tiefes, bedrohliches Knurren.
Dann setzte ich den Weg fort.
Der Geruch wurde stärker. Gleichzeitig verstärkte sich der Frost der Hand an meiner Brust. Und während ich langsam und vorsichtig weiterging, wurde mir klar, wo ich Blutmal finden würde. Diese Erkenntnis wurde von einem jähen Krampf in meinem Magen begleitet. Ein Teil von mir hatte gehofft, es würde eine Zuflucht geben, einen sicheren Ort, ein Zuhause …
Aber er hatte mir schon alles andere genommen.
Eine Spannung fiel von mir ab, ein Ziehen in den Schultern.Zielstrebig bewegte ich mich weiter, ohne die Tiefen des Siels wahrzunehmen.
Bis ich zu meinem Unterschlupf gelangte.
Vor dem Eingang hielt ich inne, kniete mich ein paar Schritte davon entfernt hin, um in die enge Dunkelheit zu starren.
Der Geruch von Raureif war stark, beinahe überwältigend. Er strömte aus dem Eingang des Unterschlupfs wie die Hitze aus der Tür des mehlweißen Mannes. Die vereiste Hand an meiner Brust brannte so heftig, dass es sich anfühlte, als würde meine Haut gefrieren und in Splittern abblättern.
Die Empfindungen waren so intensiv, dass ich nicht bemerkte, wie Blutmal sich näherte.
Ich spürte den Tritt einen Lidschlag, ehe er mich traf, wappnete mich, indem ich mich versteifte, wie ich es Tausende Male auf dem Siel getan hatte, um dem Tritt einen Teil der Wucht zu nehmen und dann in die Sicherheit der Finsternis zu flüchten.
Nur, dass ich diesmal nicht davonrennen würde.
Blutmals Fuß traf mich mit solcher Wucht in den Magen, dass ich hochgehoben, zur Seite geschleudert und auf den Rücken geworfen wurde. Die Luft wurde mir aus den Lungen gepresst, doch ehe ich einatmen konnte, drückte Blutmal den Fuß auf meine Brust und stellte die Ferse mitten auf die vereiste Hand.
Ich krümmte mich, rollte mich wegen der plötzlichen, heftigen Schmerzen zusammen, wand mich zur Seite und hustete vom Brennen in meinen Lungen.
Ich verlor den Halt im Fluss.
Als die Dunkelheit der wahren Nacht mich umfing, wühlte Übelkeit in meiner Magengrube, und alle Kraft wich aus meinen Armen. Ich zitterte. Meine Augen weiteten sich vor Furcht. Krämpfe erfassten mich.
»Miststück«, zischte Blutmal.
Mühsam versuchte ich, mich aufzurappeln, wobei ich Blutmals Schritte hörte, der nun hinter mich trat. Die Krämpfe erfassten meine Schultern und Beine.
Ich richtete mein ganzes Augenmerk auf Blutmal, auf die Geräusche seiner Bewegungen und die Schmerzen in meinen Eingeweiden und der Brust. Jeder Atemzug war eine Qual.
»Du hast alles zerstört!«, spie Blutmal mir entgegen. Um seine Worte zu unterstreichen, versetzte er mir einen weiteren Tritt, diesmal ins Kreuz.
Wieder schossen Schmerzen
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