Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
Vom Netzwerk:
lassen.
    War es möglich, dass jemand beides sein konnte?
    Ich schüttelte mich, schleuderte die unbeantworteten Fragen von mir. Harmlos oder gefährlich, rot oder grau, es spielte keine Rolle mehr. Erick war fort, war für mich verloren, war mir gestohlen worden. Genau wie der Siel.
    Ich setzte mich in Bewegung und blickte die Gasse hinunter auf das geschäftige Treiben der Stadt, auf den Fluss der Fremden mit ihren feinen Kleidern und der sauberen Haut.
    Wer bist du? , hatte Perci gefragt.
    Ich blickte auf meine Hände. Blutmals Blut war in den Linienmeiner Handfläche getrocknet und bildete Krusten zwischen meinen Fingern. Ich ballte die Hände zu Fäusten und spürte, wie Flocken davon abbröckelten, spürte das geronnene Blut wie Sand auf der Haut.
    »Ich bin Abschaum«, murmelte ich vor mich hin.
    Das Gefühl, getreten worden zu sein, saß tief in mir; der Schmerz wühlte in meinen Eingeweiden. Ich nahm einen tiefen Atemzug durch die Nase, zog Rotz und Schleim hoch, schluckte beides, hustete.
    Ich konnte nicht zurück in die Elendsviertel, aber hierbleiben konnte ich auch nicht. Ich war zu anders . Sobald ich die Straße betrat, würde ich auffallen. Ich musste mich säubern, musste mir den Siel aus dem Gesicht, aus den Kleidern waschen.
    Mühsam stand ich auf. Ich spürte Schmerzen am ganzen Leib, vor allem in der Brust und in der Magengegend, wo Blutmal mich getreten hatte. Den Rücken gegen die Steinziegelmauer gepresst, um mich abzustützen, zog ich mein von Dreck, Blut und Erbrochenem verschmiertes Hemd hoch. Ein deutlicher Bluterguss in Gestalt eines Fußabdrucks prangte auf meiner Brust, schwarz und blaulila und gesäumt von einem scheußlichen Gelb. Ein weiterer hatte sich an meiner Seite gebildet.
    Ich zog das Hemd wieder herunter und blickte in beide Richtungen die Gasse hinunter.
    Noch etwas war hier anders. Es war mir in der Nacht aufgefallen, in der ich Erick zur Brücke verfolgt hatte. Es war etwas, was noch deutlicher als die Menschen auf den Straßen, ihre Kleidung oder das seltsame Zimmer auf Rädern erkennen ließ, dass ich mich nicht mehr am Siel befand.
    Die Gasse hatte Kanten, schien irgendwie klarer gezeichnet zu sein, schien wirklicher zu sein. An ihrer Mündung befanden sich scharfe Ecken. Die Fenster und Türen besaßen deutliche Nischen, und nichts war mit Brettern vernagelt. Das Kopfsteinpflaster war größtenteils unversehrt, und die Rinne für dasSchmutzwasser in der Gassenmitte verlief fast kerzengerade, wie mit einem Messer geschnitten.
    Jenseits des Siels waren die Gassen und Häuserschluchten schäbig, gerundet, abgenutzt . Ausscheidungen und Schmutz besudelten den von Flechten und Moosen bewachsenen Stein und die Lehmziegel. Die Haufen verrottenden Mülls, die sich in den Nischen stapelten und sich in Ritzen und Winkeln sammelten, wuchsen an und breiteten sich aus. Beseitigt aber wurden sie nie.
    Und am Siel gab es keine Fässer. Zumindest keine unversehrten.
    Ich drehte mich zu dem Fass um und beugte mich über dessen Öffnung. Es war etwas mehr als halb voll mit Regenwasser. Ich blickte auf das sich kräuselnde Nass, in dem sich mein Gesicht spiegelte.
    Das Haar klebte mir flach am Kopf, verschmiert mit Schlamm, verkrustet mit Blutspritzern. Es hing in dünnen Strähnen wie Rattenschwänze herab; kurz und ungleichmäßig geschnitten, reichte es mir nicht weiter als bis zum Kinn. Es umrahmte ein schmales Gesicht. Der Mund war verkniffen, nur ein dünner Strich, und ein großer Teil der Haut war mit Dreck und noch mehr Blut verschmiert, das getrocknet war und ebenso abblätterte wie das Blut an meinen Händen. Das bisschen Haut, das nicht von Schmutz – vom Siel – bedeckt war, wirkte beinahe grau.
    Und die Augen …
    Ich zuckte zusammen.
    Die Augen waren hohl, trüb, verkrustet mit getrockneten Tränen. Und in den schlammigen Tiefen …
    Lange Zeit stand ich da, blickte in das Fass und in diese trostlosen Augen.
    Dann tauchte ich die Hände ins Wasser und rieb mir das Blut ab, rieb, bis meine Haut sich wund anfühlte und meine rissigen Fingernägel Kratzspuren hinterließen. Dann, ehe dasWasser sich beruhigen und das Spiegelbild zurückkehren konnte, tauchte ich den Kopf ins Fass.
    Wasser umspülte mein Gesicht, und ich schloss die Augen, erinnerte mich an den Nymphenbrunnen, spürte erneut den Schrecken des sechsjährigen Mädchens, als es stolperte und das Wasser es umhüllte, über seinem Kopf zusammenschwappte …
    Ich fuhr heftig aus dem Fass zurück. Das Wasser

Weitere Kostenlose Bücher