DIE ASSASSINE
getötet, um mich selbst, Erick oder sonst jemanden zu retten. Ich hatte ihn getötet, weil ich es wollte. Weil er es verdient hatte, ob die Regentin es wusste oder nicht.
Erick würde das nicht verstehen. Nicht, solange er glaubte, dass Mari ein berechtigtes Opfer war, solange er nicht begreifen konnte, dass das so nicht stimmte, auch wenn Mari Rec getötet hatte.
Hier gab es nichts mehr für mich. Gar nichts.
Also drehte ich mich um und verließ den Siel, bewegte mich auf den einzigen anderen Ort zu, den ich kannte.
Die Brücke über den Fluss.
Nach Amenkor.
Ins wahre Amenkor.
Zweiter Teil
AMENKOR
S IEBTES K APITEL
A MENKOR.
Das wahre Amenkor.
Im Halblicht des Morgengrauens brach ich in die Knie und übergab mich in die Ecke einer Steinziegelmauer. Mein Magen krampfte sich zusammen, und ich würgte abermals, spannte gequält die Muskeln, doch es kam nichts mehr. In mir war nichts mehr übrig, nur noch grässliche Übelkeit.
Als die Krämpfe nachließen, spuckte ich aus und kroch zu einem Fass, das am Ende der Gasse stand. Ich kauerte mich dagegen und schlang die Arme um die Brust, während Schauder mich durchliefen. So schlimm waren die Nachwehen eines Aufenthalts im Fluss noch nie gewesen. Andererseits hatte ich ihn noch nie so ausgiebig verwendet, und ich war auch noch nie so lange untergetaucht geblieben. Es war noch nie erforderlich gewesen.
Abermals schauderte ich, denn ich hatte mit einem Mal das Bild des sterbenden Blutmal vor Augen, wie er an seinem eigenen Blut erstickte, und den Geisterthron, der in die Brust des mehlweißen Mannes geschnitten war.
Ich drückte mich fest gegen das Fass und presste die Augen zu. Es gab nichts, was ich gegen die Schmerzen hätte ausrichten können. Der Fluss, der Marsch nach Amenkor den Siel entlang, die Anspannung des Wartens auf den richtigen Augenblick, um an den Wachen vorbei über die Brücke und den wahren Fluss zu huschen – das alles hatte seinen Tribut gefordert. In mir war nur noch tiefe Erschöpfung, die sich in meinen Muskeln und meinen Knochen eingenistet hatte. Eine Erschöpfung, die an mir zerrte wie eine erbarmungslose Flut.
Ich lehnte den Kopf gegen die Steinziegelmauer tief in Amenkor und ließ die Flut über mir zusammenschwappen.
Eine Peitsche knallte. Das schnalzende Geräusch ließ mich mit einem Ruck erwachen.
»Hüa!«, rief jemand, und das Klappern von Hufen und Rädern auf Kopfsteinpflaster entfernte sich.
Mit trübem Blick blinzelte ich in grelles Sonnenlicht.
Ein Junge stand vor mir.
Ich erstarrte und spannte die Muskeln.
Der Junge – höchstens sechs Jahre alt, gekleidet in eine handgenähte, für ihn geschneiderte Hose, eine Weste und ein weißes Hemd; Gewänder, viel zu fein für die Elendsviertel oder den Siel – beobachtete mich mit aufmerksamen braunen Augen. Die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt, und er wiegte sich von den Zehen auf die Fersen vor und zurück. Ein seltsamer, flacher Hut bedeckte sein glänzendes blondes Haar.
»Wer bist du?«, fragte er mit klarer Stimme. Aus seinem runden Gesicht sprach weder Böswilligkeit noch Furcht. Nur Neugier.
Ich holte Luft, was mich einige Mühe kostete und ein Brennen in der Lunge hervorrief. Doch ehe ich antworten konnte – ich wusste nicht einmal, was ich sagen sollte –, erschien eine Frau in meinem Blickfeld.
»Perci! Was, um des Weißen Himmels willen, tust … Oh!« Die Frau sog scharf die Luft ein, wich einen Schritt zurück, griff mit einer Hand nach Perci und mit der anderen nach der Schnalle ihres Kleids nahe am Hals. Ihre erschrockenen Züge verhärteten sich zu einem Ausdruck der Verachtung, vermischt mit Furcht.
Meine Augen verengten sich, mein Kiefer verkrampfte sich. Meine Hand wanderte zum Dolch an meiner Seite. Die Frau trug ein blau gefärbtes Kleid, eng um die Mitte und mit Ärmeln, die ihr bis zu den Handgelenken reichten, dazu Sandalen mit zahlreichen Riemen an den gewaschenen Füßen. Eswar schlichte Kleidung, nicht so aufwendig wie die Percis, aber ordentlich: Es gab keine Flecken, keine ausgefransten Säume, keine Spuren von Verschleiß. Die Gewänder wirkten frisch wie Wasserpfützen unmittelbar nach einem Unwetter, ehe eine Schmutzschicht die Oberfläche überzieht.
Mein Blick richtete sich wieder auf die Augen der Frau.
Ein Teil der Verachtung schwand aus ihrem Gesicht, während die Furcht sich in den Vordergrund drängte.
»Komm, Perci.« Die Hand auf Percis Schulter griff fester zu, und die Frau zog den Jungen zur
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