DIE ASSASSINE
unter einem von Criss’ wilden Hieben und trieb den Dolch in den Bauch des zweiten Mannes,zog die Klinge nach oben bis unter die Rippen, mit einer einzigen, heftigen Bewegung, und zog das Messer dann heraus, ehe ich zurückwich, noch immer geduckt.
Der zweite Mann erstarrte, riss die Augen auf, würgte. Der Arm, den er angehoben hatte, um mir von hinten die Kehle aufzuschlitzen, sank herab. Er starrte auf den Blutschwall, der sein Hemd durchtränkte und der sich bereits bis auf seine Hose ausgebreitet hatte.
Er schaute wieder auf und stieß mit leiser, verwirrter, grässlich feuchter Stimme hervor: »Criss?«
Dann sank er schwerfällig auf die Knie und kippte hintenüber. Sein Dolch fiel mit hellem Klirren aufs Kopfsteinpflaster, während der Körper dumpf aufschlug.
Ich wandte mich Criss zu. Er war fast bis zur Mauer der Gasse zurückgewichen und starrte mit blankem Entsetzen auf den noch zuckenden Körper seines Kumpanen. Sein Messerarm hing an der Seite herab, und aus der Schnittwunde in seinem Gesicht strömte das Blut.
Ich richtete mich auf. Sein Blick wandte sich mir zu. In seinen geweiteten Augen spiegelte sich nacktes Grauen. Er blies die Luft durch den Mund aus, sodass das Regenwasser von seinen Lippen spritzte.
»Bei den Göttern«, flüsterte er.
Dann rannte er los, auf den Eingang der Gasse zu, und ließ seinen Mantel und seinen Gefährten, unter dessen Körper sich eine Blutlache ausbreitete, einfach zurück.
Ich schaute dem Fliehenden nach und starrte dann zur Mündung der Gasse, als ich plötzlich spürte, dass jemand mich beobachtete.
Ich drehte mich um.
Am anderen Ende der Gasse standen zwei Gestalten, die eine leicht versetzt hinter der anderen. Der zweite Mann hielt eine Laterne, deren Licht im Grau fast weiß wirkte.
Ich spürte, wie der Fluss mir entglitt.
Der andere Mann trug eine blutrote Jacke mit Goldfäden. Das Licht der Laterne spiegelte sich auf dem Drahtgestell, das er im Gesicht trug.
Meine Hand krampfte sich um den Dolchgriff, doch die beiden Männer gingen davon und ließen mich zufrieden.
Ich starrte auf den Leichnam.
In meinem Innern war eine kalte Leere.
Ich dachte an den Jungen, an Perci.
Während ich auf die Leiche blickte, auf deren feine Kleidung nun der Regen prasselte, während die dunkle Blutlache auf dem Kopfsteinpflaster immer größer wurde, sagte ich mit stumpfer Stimme: »Das bin ich.«
Dann drehte ich mich um und hob das Päckchen auf, das ich vom Kai mitgenommen hatte. Ich riss das Papier ab und spürte, wie der Zwirn mir in die Finger schnitt, doch ich achtete gar nicht darauf.
In das Papier war ein Buch eingewickelt.
Ich blätterte durch die Seiten, starrte verständnislos auf die schwarzen Zeichen.
Ich konnte nicht lesen.
Ich drehte mich um, schaute wieder auf den Leichnam. »Du bist für ein verdammtes Buch gestorben«, sagte ich.
Ich warf ihm das Buch auf die Brust.
Dann stapfte ich davon.
D ER P ALAST
Z u spät, zu spät, zu spät«, murmelte ich, während ich in vollem Lauf um eine Ecke bog. Der Wäscheschrank befand sich im nächsten Raum unmittelbar vor mir. Doch ich konnte selbst innerhalb des Palasts spüren, wie der nächtliche Himmel über mir seinen Kreis zog und wie mir die Zeit entglitt. Ich hätte nicht von Avrell und Nathem aufgehalten werden, hätte in der riesigen Halle nicht auf die Wachen starren dürfen. Ich würde die Wachablösung verpassen.
Als ich um eine weitere Ecke stürmte, wäre ich um ein Haar in den Rücken eines Bediensteten gerannt.
Jäh blieb ich stehen, huschte um die Ecke, drückte mich an die Wand und lauschte. Mein Atem ging laut und keuchend. Vom Warteraum aus, in dem ich Avrell und Nathem belauscht hatte, war ich gerannt.
Ich hörte, wie die Schritte des Bediensteten in der angrenzenden Halle verstummten, und hielt den Atem an. Nach einem quälend langen Augenblick setzten die Schritte wieder ein und entfernten sich den Gang hinunter.
Ich stieß einen langen Atemzug aus und warf einen Blick um die Ecke, um mich zu vergewissern, dass der Flur verwaist war. Dann huschte ich zur einzigen Tür des Ganges.
Sie war offen.
Ich schlüpfte hindurch, schloss sie hinter mir und verriegelte sie. Nachdem meine Augen sich an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, blickte ich mich in dem dunklen Raum um. Es war eine Art Bibliothek mit Bücherregalen an drei Wänden. Ein großer Tisch, umstanden von Stühlen, nahm die Mitte des Raumes ein. Auf dem Tisch erblickte ich unordentliche Bücherstapel
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