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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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zwischen zahlreichen Kerzenhaltern und halb niedergebrannten, nicht angezündeten Kerzen. Vor mehreren Stühlen lagen Pergament und Federkiele.
    An der hinteren Wand, unscheinbar zwischen ein paar Pflanzen und gemütlichen Lesesesseln, befand sich eine vertäfelte Tür mit Holzleisten. Der Kleiderschrank.
    Ich huschte durch den Raum. Die Tür war verriegelt. Wie seltsam, einen Kleiderschrank abzusperren …
    Ich griff in die Innentasche und holte den Schlüssel hervor, den ich von Avrell erhalten hatte, schob ihn ins Schloss und drehte ihn. Der Riegel hob sich, und die Tür ging auf.
    Ich trat hinein, schloss die Tür hinter mir und nahm mir einen Augenblick Zeit, um durch die Holzleisten in die Bibliothek zu spähen.
    Niemand war mir gefolgt.
    Ich drehte mich um und erstarrte.
    Der Schrank war voller Leinen. Vom Boden bis zur Decke. Keine Seite war frei. Es gab keinen Eingang zum inneren Heiligtum.
    Kalte Angst erfasste mich. Die Angst, ich könnte einen Fehler begangen haben oder dass jemand mich verraten hatte. Ich trat einen Schritt vor, packte einen Leinenstapel und riss daran. Der Stapel kippte um, fiel mit einem leisen, raschelnden Laut hinter die Tür. Eine raue Steinmauer kam zum Vorschein. In der Mitte dieser Mauer, nahe am Boden, schimmerte durch eine schmale Öffnung Fackellicht auf der anderen Seite.
    Ich atmete erleichtert auf und kauerte mich neben die Öffnung.
    Sie war drei Hände hoch und fast zwei Hände breit, ursprünglich eine Scharte für Bogenschützen an der Außenmauer der Feste, durch die man auf Gegner hinunterschießen konnten. Aus unerfindlichem Grund war die Schießscharte beim Bau der neueren Teile des Palasts nicht zugemauert worden. Kniend legte ich eine Hand an die Außenseite der Öffnung. Ich spürte nicht den glatten weißen Stein der neueren Palastbereiche, sondern den körnigen Granit, aus dem die ursprüngliche Mauer bestand. Der Stein war rau, voller Unebenheiten und von den Elementen verwittert.
    Durch die Schießscharte konnte ich die kleine Nische sehen, in der einst die Bogenschützen gesessen hatten, um die Mauer zu verteidigen. Dahinter war ein Gang zu erkennen. Ich verlagerte ein wenig die Haltung, sodass das Fackellicht aus dem Gang als langer dünner Streifen in den Raum fiel, in dem ich mich befand. Ich sah eine Tür, die von zwei Männern bewacht wurde. Beide trugen die schmucke Kleidung der Gardisten des wahren Amenkor und machten einen hochmütigen Eindruck. Das Symbol des Geisterthrons war in Gold in ihre Kleidung gestickt. Feuerschein aus breiten Schalen mit brennendem Öl schimmerte auf dem Metall ihrer Armschienen, Schulterpanzer und auf den Griffen ihrer in Scheiden steckenden Schwerter.
    Vielleicht war ich doch nicht so sehr aufgehalten worden, wie ich befürchtet hatte.
    Ich hatte mich gerade abgewandt, um mich auf eine lange Wartezeit einzurichten, als einer der Gardisten zum anderen blickte und seufzte. »Wir haben gerade erst angefangen, und ich bin jetzt schon müde«, sagte er. »Das wird eine lange Wache.«
    Ich fiel nach hinten, prallte gegen die Granitmauer und murmelte: »Verdammt!«, während draußen der andere Gardist seinem Kameraden mit einem Knurren beipflichtete.
    Wie es aussah, hatte ich die Wachablösung doch verpasst.
    Ich holte tief Luft, betastete den Griff meines Dolchs und biss mir auf die Unterlippe.
    Mist, Mist, Mist. Was jetzt?

A CHTES K APITEL
    S chon die ganze Woche, seit ich den Mann in der Gasse getötet hatte, arbeitete ich am Kai. Ich lehnte an einem Pfeiler. Die Geräusche der Docks waren wie ein gedämpftes Rauschen des Windes im Hintergrund. Ich spürte, wie der Pfeiler unter mir leicht bebte, als Wellen dagegen klatschten. Die Welt war ein verwaschenes Grau, abgesehen von einem kleinen Fenster, in dem das Sonnenlicht grell auf ein größtenteils weißes Tuch schien, das über den hinteren Teil eines Karrens gebreitet war. Auf dem Tuch türmten sich Gemüse und Obst.
    Die Farben des Obstes waren leuchtend und lebhaft im Sonnenschein. Alles sah vollkommen aus, glatt und makellos. Die Früchte wiesen keine Schorfe auf, keine braunen oder schimmeligen Stellen.
    Seit ich am Kai war, hatte ich niemanden gesehen, der Obst verkaufte. Bisher war mir nur Fisch untergekommen – Fischköpfe, Fischgräten, Fischeingeweide – und Krabben, die wie Fisch rochen, aber süßlich schmeckten.
    Ich schaute von den Äpfeln auf – von dem Apfel, der ein wenig zur Seite gerollt war und nahe dem Rand des Karrens lag – und beobachtete den

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