DIE ASSASSINE
als der Siel. Hier wurden die Gassen von Netzen und Krabbenfallen gesäumt, an denen getrockneter Seetang klebte, und nicht von Haufen zerbrochenen Steins und bröckliger Lehmziegel. Esstank nach Salz und totem Fisch statt nach Kot und abgestandenem Wasser. Mir war es sogar gelungen, einen neuen Unterschlupf zu finden – das Ende einer Gasse, wo sich Krabbenfallen stapelten, überdeckt mit einer Lederplane zum Schutz gegen den Regen. Ich hatte ein Loch in die Mitte des Leders geschnitten und ein paar Fallen herausgezogen, bis ich mich in die schmale Öffnung zwängen und dort genug Platz finden konnte. Die Gegend hier war dem Siel um einiges ähnlicher als die Oberstadt, wo ich erwacht war und wo Perci, der Junge, mich angestarrt hatte.
Ich schwenkte den Blick vom Kai zu den Gebäuden unmittelbar am Wasser und hinauf zum Hang des Hügels dahinter. Die Dächer wurden spärlicher, als mein Blick höher wanderte, und die Gebäude größer und reicher verziert. Auf der Hügelkuppe schließlich sah ich den weißen Stein des Palasts, der in der Sonne schimmerte.
In der Oberstadt gab es so gut wie keine Fremden und kaum Gerüche. Zumindest keine, die in der Nase brannten oder mir das Wasser in die Augen trieben.
Mein Blick senkte sich wieder zum Kai, und ich nahm den Gestank von Fisch wahr.
Ein Mann fluchte, und der dumpfe Aufprall eines fallen gelassenen Bündels, das auf dem Holz des Kais landete, riss mich aus meinem Dämmerzustand. Die Nacht brach herein, und dunkle Wolken trieben vom Meer heran.
In dieser Nacht würde es regnen.
Der Mann kauerte sich hin und hob etwas auf, was aus dem Bündel gequollen war. Der Strom der Menge teilte sich um ihn. Ein paar Gegenstände waren weggerollt. Ein flaches Päckchen, verschnürt mit Zwirn, war gegen einen Dockpfeiler geschlittert, der aus der Beplankung und dem wogenden Wasser darunter ragte.
Einen Lidschlag lang erstarrte ich, bereit, in den Fluss zu tauchen, hielt dann aber schaudernd inne, als ich an die stechenden Kopfschmerzen dachte.
Ich ließ mich an der Gassenmauer nieder und beobachtete, wie der Mann grunzte, als er nach einem walzenförmigen Päckchen griff, das weiter weggerollt war als die anderen Dinge. Nur der flache Gegenstand, der zu dem Pfeiler gerutscht war, blieb noch übrig.
Doch der Mann stand unvermittelt auf, warf den walzenförmigen Gegenstand in sein Bündel, schwang es sich über die Schulter und verschmolz mit der Menge.
Ich starrte auf das rechteckige Päckchen, das er zurückgelassen hatte.
Dann warf ich einen raschen Blick nach links und rechts, drängte mich durch die Leute zu dem Dockpfeiler und hob das Päckchen auf.
Ohne es zu öffnen, huschte ich durch die Menge zu meinem Unterschlupf zurück. Sobald ich die hinteren Gassen erreichte, verlangsamte ich die Schritte. Meine Arme kribbelten.
Ich eilte eine verwaiste Straße entlang in Richtung einer stillen Gasse. Mittlerweile hatte die Nacht vollständig Einzug gehalten. Die ersten Regentropfen fielen. Ich hatte das Ende der Gasse beinahe erreicht, das Päckchen noch immer in Händen, als sich mir jemand in den Weg stellte.
Ich erstarrte. Wasser tropfte mir aus den Haaren ins Gesicht. Durch die Strähnen sah ich das Grinsen des Mannes, der feinere Kleider als die Hafenarbeiter und Marktschreier trug. Eine Hose ohne Flecken, ein Ledergürtel, an dem ein Dolch steckte, ein dunkles Hemd und einen Mantel zum Schutz gegen den Regen.
»Was haben wir denn da?«, murmelte er. Seine Stimme klang so schmierig wie die des Marktschreiers, der mich vor Tagen am Arm gepackt hatte.
Ich wich einen Schritt zurück, ließ eine Hand von dem Päckchen zum Dolch wandern, der unter meinem Hemd verborgen war.
Das Grinsen des Mannes wurde breiter, und noch bevor ichsah, wie er den Blick auf irgendetwas hinter mir richtete, hörte ich ein Geräusch.
Schritte.
Den Dolch halb gezogen, wirbelte ich herum.
Eine Faust schmetterte mir ins Gesicht, traf mich mit schrecklicher Wucht am Kiefer, so hart, dass ich zurücktaumelte und auf ein Gewirr aus Netzen neben einer Kiste fiel. Meine freie Hand griff ins Leere, mein Kopf kam an der Kiste zu liegen, und ein plötzliches Tosen füllte meine Ohren. Ich hatte das Päckchen verloren, aber nicht den Dolch. Er hatte sich in meinem Hemd verheddert, unter dem er noch immer verborgen war.
Meine Hand ertastete den Rand der Kiste. Ich blinzelte gegen den Regen, die Dunkelheit, beugte mich nach vorn und nahm eine geduckte Haltung ein.
Durch das Tosen in meinen Ohren
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