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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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zornig verengt. Ein weiterer Mann, jünger und blasser und ähnlich gekleidet, aber ohne die grässliche Jacke, gesellte sich ihm zu.
    »Was ist, Meister Borund? Was hat der Kapitän gesagt?«
    Der kahle Mann knurrte: »Er sagt, er hätte nicht die gesamte Ladung. Das Tuch aus Verano fehlt, und das Gewürz aus Marland habe er nicht auftreiben können. Jemand in der Stadt habe alles aufgekauft, ehe er etwas davon besorgen konnte.« Er fluchte und holte tief Luft, um sich zu beruhigen, als die beiden an den Kisten vorbeigingen. Ich hatte mich zurückgelegt und den Kopf eingezogen, als würde ich schlafen, doch ich hätte mir die Mühe sparen können. Die Männer waren zu sehr in ihre Unterhaltung vertieft, um mich zu bemerken. »Diese Stadt zerfällt, William. Und weder Avrell noch die Regentin tun etwas dagegen …«
    Ihre Stimmen entfernten sich.
    Ich hob den Kopf, um zu sehen, ob sie bereits weit genug weg waren; dann bewegte ich mich vorwärts und beobachtete, wie sie mit der Menge am Kai verschmolzen, mit den Marktschreiern und Hafenarbeitern und dem Gestank von Meerwasser und Fisch. Schließlich wandte ich mich wieder dem Schiff zu.
    Doch an Bord gab es nichts, was ich stehlen konnte. Das hatte ich bereits festgestellt. Trotzdem blieb ich. Die Schiffe im Hafen machten mich neugierig. Ich beobachtete, wie die Männer Kisten entluden, wie die Taue und Flaschenzüge an den Masten im Wind schwankten. Wellen klatschten gegen die Seiten des Schiffes, und ab und an polterte es gegen das Dock, an dem es verzurrt war. Männer brüllten, fluchten, spuckten und lachten. Weißgraue Vögel kreischten, stießen aufs Wasser und auf die Männer hinunter, ehe sie sich auf den Dockpfeilern niederließen und mit den Flügeln schlugen. Jemand ließ eine Kiste fallen; krachend barst das Holz. Braune, haarige, rundliche Früchte kullerten aus der geborstenen Kiste hervor und rollten über das Dock.
    Ich beugte mich vor, als der Wunsch mich überkam, die Gelegenheit zu nutzen, zwang mich dann aber, wieder zurückzuweichen.
    Ich konnte es nicht wagen. Nicht ohne den Fluss. Das hatte ich in den ersten paar Tagen am Kai gelernt. Ich konnte immer noch die Hand des Marktschreiers spüren, die mein Handgelenk umschlossen und mich herumgewirbelt hatte.
    Wo willst du damit hin? , hatte er mich angefaucht.
    Ich lehnte mich gegen die Kisten und wischte mir mit einer Hand über die Stelle, an der ich immer noch seinen Speichel im Gesicht spüren konnte. Ich hatte nichts erwidert; das Entsetzen, erwischt worden zu sein, hatte mir die Sprache verschlagen.
    Am Siel war ich nie erwischt worden. Nicht, seit ich herausgefunden hatte, wie ich die Kräfte des Flusses und das, was Tauber und seine Straßenbande mich gelehrt hatten, bündeln konnte. Und ganz besonders nicht nach dem Feuer.
    Hier jedoch musste ich vorsichtiger sein, musste darauf achten, nicht so viele Wagnisse einzugehen. Und alles nur, weil jedes Mal, wenn ich versuchte, den Fluss zu benutzen, der Stachel des Schmerzes zurückkehrte. Ich vermochte nicht zu sagen, ob der Schmerz mit den Tagen an Stärke nachließ – er war immer noch so schlimm, dass ich in den vergangenen zwei Tagen gar nicht erst versucht hatte, in den Fluss zu tauchen.
    Ich verdrängte die nagenden Sorgen und beobachtete weiter, wie die Kisten ausgeladen wurden. Die seltsamen haarigen Früchte wurden aufgelesen.
    Ich seufzte und wandte mich wieder dem Kai zu. Ich konnte es nicht wagen, irgendetwas unmittelbar von den Docks zu stehlen, wo die Fluchtmöglichkeiten eingeschränkt waren, aber am Kai …
    Ich huschte zwischen den Kisten und Netzen hervor und mischte mich unter die Menschenmenge.
    Den Rest des Tages verbrachte ich am Kai, ging von Ort zu Ort, beobachtete die Marktschreier, die Hafenarbeiter, hielt aufmerksam nach einem ungeschickt abgelegten Fischkopf, nach einer unbeobachteten Brotkruste Ausschau.
    Die Menschenmenge hier war anders zusammengesetzt als die auf dem Siel. Zwar hatte auch hier ein großer Teil der Leute helle Haut, dunkles Haar in Braun- und Schwarztönen und dunkle Augen, doch hier am Kai gab es mehr Fremde. Männer, die sich Perlen in die Bärte geflochten hatten, und Frauen mit Federn im Haar. Andere hatten sich in Tücher gehüllt, die nicht geschneidert waren, sondern durch kunstvolles Falten und Feststecken am Körper getragen wurden. Ich sah auch ein paar Frauen mit dem blauen Farbfleck der Träne des Taniece im Augenwinkel.
    Auch die Straßen und Gassen jenseits des Kais waren anders

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