DIE ASSASSINE
meinen Schultern, schenkte ihm jedoch keine Beachtung, achtete stattdessen auf das Gefühl des Flusses und seine Strömung rings um mich. Ich streckte mich, berührte den Fluss, schob ihn, versuchte, seinen Brennpunkt zu verlagern, weg von mir und hin zu Borund.
Als ich die Augen wieder aufschlug, hatte sich die Beschaffenheit des Raumes verändert. Noch immer war alles grau, durchsetzt mit anderen Farben, doch nun gab es mehr davon. Die drei Männer, die mir zuvor rot erschienen waren, zeichneten sich noch immer rot ab, allerdings undeutlicher und blasser als zuvor. Dafür gab es jetzt neue Schemen in Rot – ein dunkleres Rot als die anderen.
Männer, die gefährlich für Borund waren.
Unterbewusst trat ich vor und ließ den Blick prüfend über die neuen Gesichter wandern.
Das Feuer breitete sich über meine Arme aus.
Borund trank am Tisch einen Schluck Bier. Er hatte das Fleisch bereits halb aufgegessen und griff nun nach einem Stück Brot.
Und dann sah ich den dürren Mann.
Er stand unmittelbar hinter Borund, weniger als fünf Schritte entfernt. Während ich ihn beobachtete und das Feuer tiefer kroch, bis es mir in den Fingerspitzen kribbelte, ließ der dürre Mann das Messer aus dem Versteck im Ärmel in seine Handfläche gleiten und bewegte sich vorwärts.
Gleichzeitig blieb neben mir jemand stehen und sagte mit erschrockener Stimme: »Varis?«
Ich drehte mich zur Seite, sah Williams überraschten Blick und den Ausdruck der Verwirrtheit auf seinem Gesicht …
Dann sah ich den Dolch in meiner Hand. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn gezogen zu haben.
Seine Augen weiteten sich, und er hob eine Hand, als wollte er mich ergreifen oder abwehren wie am Kai. Doch ehe ich herausfinden konnte, was er vorhatte, stürmte ich zu Borund.
Ich glaube, William brüllte vor Schreck auf, aber es war schwer zu sagen, da seine Stimme im Hintergrundwind unterging. Der dürre Mann stand mittlerweile einen Schritt hinter Borund und zielte mit dem zierlichen Dolch auf dessen Rücken. Ich erkannte, was er vorhatte: einen kurzen Aufwärtsstoß zwischen die Rippen – denselben Stoß, mit dem ich Tomas getötet hatte, Blutmals Angreifer. Würde der Stoß richtig ausgeführt, würde Borund ihn kaum spüren und im letzten Augenblick seines Lebens denken, jemand hätte ihn von hinten gerempelt.
Borund sah mich im letzten Moment, eine Gabel voll geschnetzeltem Fleisch halb zum Mund erhoben. Er zuckte zurück. Erschrecken und Angst packten ihn in dem winzigen Augenblick, ehe ich gegen ihn, seinen Stuhl und den dürren Mann prallte.
Alles, woran ich denken konnte, als wir drei kippten – wobei Borund von der Wucht des Aufpralls stöhnte –, war der Leichnam des Mädchens mit dem grünen Tuch.
Dann prallten wir auf den Boden. Die Kante von Borunds Stuhl traf mich in die Hüfte, und von dem jähen, heftigen Schmerz verlor ich den Fluss. Geräusche explodierten: das Splittern von Holz, Keuchen, ein Schrei, schepperndes Geschirr und – ganz nah – das Rascheln von Kleidern und Körpern. Mein Gesicht war in das Hemd des dürren Mannes gepresst, gegen seine Brust, und der Gestank von Salz und totem Fisch überlagerte sogar den durchdringenden Duft von Orangen. Ich würgte und spürte die frostkalte Berührung von Metall, als mir ein Messer in die Seite schnitt, nicht tief, aber tief genug, um Blut fließen zu lassen.
Ich zuckte zurück, fand mit einer Hand Halt am Boden und packte das Gesicht des dürren Mannes, der sich wehrte und sich von mir und Borund losreißen wollte. Sein Arm war unter dem Stuhl eingeklemmt und wurde von Borunds Gewicht auf den Boden gepresst, doch der Messerarm war noch frei.
Ich hatte selbst nur die Hand mit dem Dolch frei. Ohne nachzudenken stach ich die Waffe in den Bauch des dürren Mannes und schnitt nach oben, heftig und tief. Sofort sprudelte Blut auf sein Hemd, und er riss die Augen weit auf. Einen Lidschlag lang schlug er um sich; dann wich alle Kraft aus seinen Armen und Schultern, und sein freier Arm sank zu Boden.
»Was soll das, bei allen Göttern?«, brüllte Borund, immer noch in den Resten seines Stuhls verfangen.
Ich stieß mich rückwärts ab und kniete mich neben den Körper des dürren Mannes. Er lebte noch, atmete rasselnd und bewegte Kopf und Augen hin und her, als suchte er nach etwas. Seine Hand verkrampfte sich, und er ließ den Dolch fallen.
Den Blick starr auf mich gerichtet, verharrte er zwei Atemstöße lang, dann starb er.
Das Feuer schwand aus meinen Armen, zog
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