DIE ASSASSINE
Bäumen. Die Gassen wurden breiter. Immer mehr Gebäude standen von der Straße zurückversetzt und warendurch eine Mauer geschützt. Der Gestank von Fisch, Salz und Meer verflüchtigte sich.
Dann hielt William an einer Ecke inne, ließ den Blick prüfend in alle Richtungen wandern und überquerte anschließend zielstrebig die Straße zu einem kleinen Tor, eingelassen in eine Nische einer Mauer. Gleich darauf schlossen Borund und ich uns ihm an.
Als William das schmiedeeiserne Tor aufsperrte, drehte Borund sich zu mir um und sagte: »Das ist dein neues Heim, Varis.«
Wir betraten einen Garten, durch den sich in sämtliche Richtungen Wege schlängelten, die sich deutlich in der Dunkelheit abzeichneten, da sie mit weißen Steinplatten ausgelegt waren, die im Mondlicht schimmerte. Bäume, deren Äste schlaff herabhingen, seufzten in einer plötzlichen Brise, die vom Hafen kam und nach Salz und Meer roch. Alles war schattig. In der Düsternis waren kaum Einzelheiten auszumachen.
Borund schritt rasch durch den Garten auf ein Gebäude zu, das ich kaum sehen konnte, und ließ William und mich hinter sich zurück.
»Stimmt etwas nicht, Varis?«, fragte William.
Ich schaute ihm in die Augen, sah die Sterne hinter ihm und erwiderte: »Es sollte nicht so … so leer sein. Das ist unnatürlich.«
William lächelte. »Das ist ein Garten. Der ist nun mal leer und ohne Gebäude.« Er schüttelte den Kopf und setzte sich in Bewegung.
Ein Anflug von Schuldgefühlen überkam mich, als hätte ich etwas falsch gemacht. Ich schaute William kurz nach, ehe ich ihm folgte.
Wir gelangten in den Schatten eines Gebäudes und zu einer Tür. Borund wartete bereits drinnen auf uns, in einem langen Flur, zusammen mit einem betagten Mann und einer Frau, die eine Laterne hielt. Weiter unten im Gang war noch ein Licht zu erkennen.
»Lizbeth«, sagte Borund, woraufhin die Frau beflissen nickte. »Das ist Varis. Sie wird in der nächsten Zeit hier wohnen. Lass ein Zimmer für sie herrichten mit allem, was sie braucht.«
Lizbeth schaute mich stirnrunzelnd an. Ihre Augen waren scharf wie die Blutmals und erfassten jede Einzelheit, bemerkten jeden Riss, jeden Fleck, jeden Bluterguss. »Braucht sie neue Kleider?«
Borund drehte sich um und musterte mich, ehe er verkniffen lächelte. »Ja. Neue Kleider. Aber sieh zu, dass sie sich nicht zu sehr von den Sachen unterscheiden, die sie jetzt trägt. Keine Röcke, und nichts mit Rüschen oder dergleichen. Bring ihr eine Auswahl von Sachen und lass sie entscheiden.«
Lizbeth nickte. »Und Wasser für ein Bad, vermute ich. Und Seife. Jede Menge Seife.«
»Was immer Varis will.« In Borunds Stimme schwang ein warnender Tonfall mit, und Lizbeth warf ihm einen fragenden Blick zu. »Varis gehört jetzt zu unserem Haushalt.«
»Als was? Wir können uns keine weitere Hilfe leisten.«
Ein Anflug von Verärgerung wanderte über Borunds Gesicht, und er legte die Stirn in tiefe Falten. »Varis ist meine neue Leibwächterin. Sie wird uns begleiten, wann immer wir das Haus verlassen.«
Lizbeth trat einen Schritt zurück, und ihr scharfer Blick richtete sich mit neu erwachtem Interesse auf mich. »Ich verstehe. Nun, ich gehe jetzt das Wasser im Bad einlassen. Ist das Ostzimmer genehm?«
Borund sah mich an. »Nein. Das Ostzimmer ist zu groß. Gib ihr vorerst Joclyns altes Zimmer.«
»Joclyns Zimmer? Aber das ist doch nur ein Dienst...« Jäh verstummte Lizbeth, als Borund ihr eine Hand auf den Arm legte.
»Joclyns Zimmer, Lizbeth. Ich weiß, was ich tue.« In Borunds Stimme schien eine Warnung mitzuschwingen.
Lizbeth nickte, doch ihre Stirn blieb gerunzelt. Borund ließdie Hand sinken, und Lizbeth reichte die Laterne dem anderen Mann, ergriff Borunds fleckige Jacke, hob mit der freien Hand ihren Rocksaum an, eilte den Gang hinunter und verschwand durch eine Seitentür.
Der Rest der Gruppe wandte sich um und folgte ihr. Ich lief hinterdrein.
»Gerrold.«
»Ja, Herr?«, antwortete der ältere Mann.
»Lass etwas zu essen in Varis’ Zimmer bringen. Was immer um diese späte Stunde in der Küche zu haben ist. Brot, Wein … Nein, lieber Wasser … und Butter.« Borund grinste und schaute kurz zu mir zurück. »Jede Menge Butter. Wenn das erledigt ist, kommst du zu William und mir ins Arbeitszimmer.« Borunds Stimme wurde düster. »Wir haben viel zu besprechen.«
»Ja, Herr.«
Ich war wach, als jemand an die Tür des Zimmers klopfte, in das Lizbeth mich in der Nacht zuvor geführt hatte. Der Raum war
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