Die Assassinen-Prinzessin (German Edition)
Raum.
Altyra erhob sich daraufhin aus ihrer knieenden Position neben dem Toten und schritt auf den Prinzen zu.
"Erstens ist er nicht einfach nur ein toter Krieger", wies sie Dynoran zurecht, "sondern hat einen Namen: Hauptmann Selomas. Zweitens weine ich nicht. Meine Augen tränen lediglich, hast du mich verstanden? Und wehe, du erzählst irgendjemandem auch nur ein Wort hiervon."
"Schon in Ordnung, Altyra. Ich werde schweigen", versprach der Prinz von Palderan sofort. "Wer war er? Hast du ihn …?"
"Nein, du Dummkopf! Er war der Schwertkampflehrer und ein guter Freund meines kleinen Bruders. Doch ich trage die Schuld an seinem grausamen Tod, da ich ihn vor unserer Abreise nach Dangverun darum gebeten habe, gut auf Tarsin aufzupassen, solange ich es nicht persönlich tun kann."
Vollkommen ohne Vorwarnung und zu Dynorans größter Überraschung schlang Altyra im nächsten Moment die Arme um ihn und weinte sich an seiner Schulter aus. Der Prinz zögerte einige Herzschläge, ehe er sie in die Arme schloss und ihr sanft durch die Haare strich.
"Lass deinen Tränen freien Lauf und du wirst sehen, dass es dir schon bald besser gehen wird! Ich bin für dich da und werde dir Halt geben."
"Bilde dir bloß nichts darauf ein, du arroganter Kerl!", schluchzte die junge Fürstin, unternahm allerdings keinen Versuch, sich aus seinen Armen zu befreien. "Ich kann dich noch immer nicht leiden. Ich brauche nur …"
Bevor sie ihren Satz vollenden konnte, versagte Altyras Stimme. Dynoran hingegen wusste im ersten Moment nicht, was er erwidern sollte, da ihre Worte ihn sehr verletzten. Daher kam es zu einem längeren Schweigen.
"Ich verstehe schon", brachte er schließlich doch eine Antwort zustande. "Und jetzt sei still und befreie dich von deinem Kummer!"
Während sich die beiden eine lange Zeit in den Armen hielten, überlegte sich der Prinz pausenlos, was er noch alles tun musste, bis Altyra ihm endlich mit Freundschaft und nicht mit Misstrauen oder Abneigung begegnen würde.
*****
Nachdem sämtliche Tränen der jungen Fürstin von Falkenau versiegt waren und sie das Zimmer ihres kleinen Bruders mit einem Zugeständnis an Dynoran verlassen hatte – der Prinz wollte unbedingt auch dieser Angelegenheit auf den Grund gehen –, war der Rest des Tages in Windeseile vergangen. Zuallererst hatte sie sich in ihre eigenen Gemächer begeben, wo sie in der geheimen Kammer mit ihrer Assassinenausrüstung eine Nachricht entdeckt hatte.
Ein Gang durch die Feste, von keinem erahnt.
Auf den Dächern der Nacht ein Treffen geplant.
Voller Mond minus zwei den Zeitpunkt bestimmt,
wenn die Klinge ihren neuen Herrn gewinnt.
Erscheint sie gehorsam, nur ihr Dolch wird rot.
Ansonsten ihr Bruder schon bald sein wird tot.
Sie hatte jene Zeilen wieder und wieder gelesen, sodass sie sie mittlerweile auswendig aufsagen konnte. Während sie auf ihrem Bett gesessen und sich um ihren Bruder gesorgt hatte, war ihr Falke Tylanos zu allem Überfluss plötzlich mit einer Nachricht vom Großmeister des Todes erschienen, in welcher die vorläufig aus der Gilde ausgestoßene Todesklinge noch in der heutigen Nacht in die Heiligen Hallen des Todes berufen wurde.
Es lässt sich nicht ändern! Ich würde heute Nacht ohnehin keinen Schlaf finden. Ich werde überhaupt keinen Schlaf mehr finden, bis ich nicht weiß, was mit Tarsin geschehen ist.
Zu ihrem Glück war der festgelegte Zeitpunkt für das Treffen mit dem Entführer ihres kleinen Bruders bereits morgen Abend. Somit würde ihr nur eine einzige Nacht Schlaf fehlen, wenn sie diesem Bastard gegenübertreten musste. Für den Moment blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf den Weg zu den Heiligen Hallen des Todes zu machen, wo sie hoffentlich rehabilitiert werden würde. Sie warf also die Nachrichten von der Gilde und dem Entführer in das Feuer, das in ihrem Kamin brannte, und begab sich zum zweiten Mal an diesem Tag in die Kammer mit ihrer Assassinenausrüstung. Dort streifte sie ihre Kleidung ab und verwandelte sich mit dem Anlegen ihrer nachtschwarzen Ausrüstung vollständig in Todesklinge. Die Tatsache, dass sie ihre Waffen in der heutigen Nacht abermals zurücklassen musste, störte sie diesmal nicht so sehr, wie bei ihrem vorhergehenden Ruf. Nach allem, was während der letzten Male vorgefallen war, da sie Waffen bei sich getragen hatte, war sie fast schon dankbar für dieses unumgängliche Gesetz der Gilde.
Die Assassine verließ leise und vorsichtig ihre Gemächer und eilte durch den
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