Die Assistentin
Aber er war jung gewesen – und selbstsüchtig genug, um in den endlosen Nächten der Gewissensprüfung jemanden um sich haben zu wollen. Jemanden, der das Los der Einsamkeit erleichterte.
Das Knallen der Nachbartür lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Ausblick. Sein Büro war nicht mehr als eine kleine Abstellkammer. Das einzige Fenster wies auf die Gasse hinter dem Haus und die Rückseiten von stark verwitterten Strandhäusern. Es gab nur wenig zu sehen, außer der mit roten und orangefarbenen Bougainvillea überrankten Gartenlaube. Rick liebte diese Pflanze. Auch die Vorderfront seines Hauses war damit bewachsen. Für ihn wurde seine Strandhütte dadurch zu einem kleinen Palast.
Lane Chandler. Gott, er wollte nicht daran rühren. Es würde niemandem helfen, noch einmal in diesem Sumpf zu wühlen, am wenigsten Ned. Es gab noch viele andere Gründe, die Ermittlungen nicht fortzusetzen. In einem Fall wie diesem konnten die Untersuchungen Monate oder gar Jahre in Anspruch nehmen, selbst für einen erfahrenen Beamten der Mordkommission. Und das war Rick nicht. Man brauchte die richtigen Quellen, Computerdatenbanken, Labore und Kriminaltechniker. Er hatte zu diesen Dingen keinen Zugang mehr, und ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Außerdem hatte die Polizei den Fall bereits nahezu abgeschlossen.
Doch der wichtigste Grund, die Finger von weiteren Nachforschungen zu lassen, war
sie.
Lucy Cox, inzwischen erwachsen und Besitzerin eines Concierge-Services. Warum überraschte ihn das nicht?
Inzwischen stand er in seinem Wohnzimmer vor der Tür, die in seinen geliebten Innenhof führte, als ein Gedanke ihn innehalten ließ. Es traf ihn wie ein Schlag. Wie hoch war die Chance, dass so viele anscheinend unterschiedliche Vorfälle in jener Nacht in Neds Haus zufällig gleichzeitig geschahen? Ned und seine Freundin waren tot, das Päckchen fehlte und Lane Chandlers Karte steckte in dem Schreibtisch – und all das geschah innerhalb kürzester Zeit. Das Päckchen konnte zwar schon eine ganze Weile verschwunden sein, aber das glaubte Rick nicht. Ned hätte es ihm gegenüber erwähnt. Und Rick mutmaßte, dass sich die Karte ebenfalls noch nicht lange in seinem Haus befunden hatte. Sonst hätte Ned mit ihm auch darüber gesprochen. Oder hatte Ned es ihm sagen wollen, als er an jenem Abend in seiner Berghütte aufgetaucht war?
Was Ned nicht wusste, was niemand außer Rick wusste, war, dass es sehr wohl eine Verbindung zwischen Lucy Cox und dem Päckchen gab. Das Mädchen war der Auslöser für die Geschehnisse vor fünfzehn Jahren gewesen – und ein Grund dafür, warum Rick die Polizei verlassen hatte.
Wenn sie wirklich die Lane Chandler von heute war, war es dann ein Zufall, dass Ned ihr über den Weg gelaufen war? Hatte sie sich ihm genähert, weil sie das Päckchen selbst haben wollte? Warum? Er wusste von vielen Leuten, die es zu gern in die Hand bekämen – aber welches Interesse konnte Lane daran haben? Erpressung, wahrscheinlich. Aber woher wusste sie, dass Ned im Besitz des Päckchens war?
Fluchend drehte er sich um. Er riss die Tür zu seinem Büro fast aus den Angeln, als er eintrat, und griff nach dem Mülleimer. Wo war diese verteufelte Karte?
5. KAPITEL
Z ögernd blieb Priscilla Brandt am Fuß der prachtvollen Treppe stehen und ließ ihren Blick durch das Wohnzimmer gleiten wie ein hungriger Raubvogel. Ihren scharfen Augen entging nichts. Das Haus war einfach vollkommen. Die Schwertlilien in den hohen Kristallvasen waren frisch geschnitten, die Satinkissen waren frisch aufgeschüttelt. Der Fußboden aus brasilianischem Kirschholz glänzte. Der leichte Duft von Lavendelöl regte ihre Sinne an. Im Hintergrund erklang leise eine Klaviersonate von Mozart.
Wenn Sie wollen, dass Ihre Gäste gut von Ihnen denken, behandeln Sie sie gut. Wenn Sie wollen, dass sie für immer in Ihrer Schuld stehen, verwöhnen Sie sie nach Strich und Faden und schicken Sie sie mit teuren Geschenken nach Hause. Wenn Sie kein Geld haben, kochen Sie ein exquisites Essen für sie.
Das war nur eine von vielen Weisheiten in ihrem frechen neuartigen Benimmbuch, das momentan die Bestsellerliste für Sachbücher bei der New York Times anführte. Ein ziemlicher Coup für eine ehemalige Küchenhilfe aus dem San Fernando Valley.
Den Job in einem drittklassigen Restaurant hatte sie gebraucht, um sich das Studium zu finanzieren, denn sie hatte keinen langen Stammbaum wie die anderen Experten in Sachen gutes Benehmen. Mit ihren sechsundzwanzig
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