Die Assistentin
schreckte sie auf. Sie hatte das Handy an der Bar liegen gelassen, aber sie würde heute Abend mit niemandem mehr sprechen. Es sei denn, es handelte sich um Skip McGinnis, den Typen, der ihre Talkshow produzieren würde. Vorausgesetzt, er kam endlich einmal in die Gänge. Falls er nach einer Ausrede suchte, um das Projekt abzublasen, hatte er nach dem heutigen Tagen eine wunderbare Gelegenheit dazu. Sie hatte ihn am Nachmittag angerufen, aber immer nur seine Mailbox erreicht. Mehrmals hatte sie ihm aufs Band gesprochen, wie wichtig sein Anruf für sie sei. Sie wollte nur eine Chance, um alles mit ihren eigenen Worten erklären zu können.
Sie eilte zur Bar, aber das Display zeigte an, dass es sich um einen unbekannten Anrufer handelte. Wahrscheinlich jemand von der Presse. Dieser verdammte McGinnis! Das war einfach demütigend. Jeder Anruf, der nicht von ihm kam, fühlte sich an wie eine erneute Absage, und langsam hatten sie sich zu einem ganzen Stapel summiert. Sie hätte das ihren Manager machen lassen sollen. Sollte er doch die Absagen sammeln.
Sie spielte mit dem Telefon herum und überlegte, was sie tun sollte. Die letzten Nachrichten, die sie ihm hinterlassen hatte, hatten vielleicht ein bisschen schnippisch geklungen. Wahrscheinlich hätte sie lieber nicht damit drohen sollen, sich an seinen Chef zu wenden und dafür zu sorgen, dass er gefeuert würde, wenn er sie nicht zurückrief. Aber das konnte er doch unmöglich ernst genommen haben! Bestimmt nicht. Vielleicht sollte sie es noch einmal versuchen und diesmal das Ganze als Witz hinstellen.
Nach dem ersten Läuten hatte sie wieder seine Mailbox dran, aber der Ansagetext hatte sich geändert. Seine Stimme klang knapp und wütend. “Wenn das Priscilla Brandt ist: Ihre Show ist so gut wie tot. Und wenn es nach mir ginge, auch Ihre Karriere. Rufen. Sie. Mich. Nicht. Mehr. An.”
Priscilla schnappte nach Luft und ließ das Telefon fallen. Wie konnte er es wagen? Jeder, der ihn anrief, würde diese Nachricht hören. Sie spürte, wie ihre Knie weich wurden und fürchtete, sie könnte stürzen. Es war vorbei. Morgen würde es in allen Zeitungen stehen, dass sie zusammengebrochen war, nachdem Skip McGinnis ihr durch den Ansagetext seiner Mailbox eine gründliche Abfuhr erteilt hatte.
Sie presste die Hände auf den Tresen und wartete einen Moment. Nein, diese Genugtuung würde sie ihm nicht gönnen.
Nein und nochmals Nein!
In einem Akt symbolischen Trotzes packte sie ihr Weinglas und leerte es auf einen Zug. Dann knallte sie das Glas auf den Tresen. Sie zitterte, aber dankbar stellte sie fest, dass sie ihre Beine langsam wieder spürte. Niemand durfte so mit ihr reden. Wenn diese Geschichte vorüber war, gab es nur eine Karriere, mit der es zu Ende war, und das war seine. Skip McGinnis, dieses Würstchen von einem Produzenten, war so gut wie erledigt.
Zwei Dinge berührten Rick Bayless, als er die Frau belauschte, die sich Lane Chandler nannte und ihrem Handy gerade Informationen über ihre Kunden diktierte: Die stimmungsvollen Rhythmen im Hintergrund und die Spannung, die in der Luft zu liegen schien. Von seinem Beobachtungspunkt in der Tür aus konnte er drei Viertel ihres Körpers erkennen. Sie lag mit dem Gesicht von ihm abgewandt auf einer Chaiselongue und hielt ein Gerät in der Hand, das wie ein Hightech-Handy aussah. Im Geiste notierte er sich die Namen, die sie erwähnte. Einige kamen ihm in der einen oder anderen Weise bekannt vor. Ihre Kommentare waren offenherzig, ebenso wie ihre offenkundige Verärgerung über manche Kunden. Doch es fiel Rick schwer, sich auf das zu konzentrieren, was sie sagte. Denn er versuchte gleichzeitig, sich das Bild der erschreckend verführerischen fünfzehnjährigen Lucy Cox ins Gedächtnis zu rufen. Sie war die größte Herausforderung gewesen, die ihm bei der Arbeit mit jugendlichen Straftätern je begegnet war.
Er hatte sie damals älter geschätzt, auf achtzehn mindestens. Sie schien glatt durch ihn hindurchzuschauen. Die türkisblauen Augen hatten wie Edelsteine geschimmert, und sie war so hart und wachsam gewesen, wie es kaum einer der Streetworker je erlebt hatte. Sie hatte ihm versprochen, dass er für sein Geld alles bekäme, wovon er träumte, egal was es sei. Er würde es nicht bereuen. Als er näher gekommen war, war ihm ihre drahtige knabenhafte Figur aufgefallen. Erst da hatte er begriffen, dass er es mit einem Kind zu tun hatte.
Ein Kind? Es hatte ihn erwischt wie ein Eimer kaltes Wasser. Er dachte, sie
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