Die Assistentin
Teint. Die vielen schlaflosen Nächte hatten ihre Spuren hinterlassen, aber er sah auch die Entschlossenheit in seinen Augen. Der Tatendrang verlieh ihm einen harten und konzentrierten Ausdruck. Die Meute dachte vielleicht, sie hätte ihn in die Enge getrieben, aber noch war er nicht bereit, sich geschlagen zu geben.
Seine Hand streifte etwas auf der Ablage. Irritiert starrte er auf die kleine chinesische Schachtel. Hatte er gestern Abend vergessen, sie in den Safe zurückzulegen? Wie leichtsinnig! In der Schachtel befand sich ein Spielstein des kostbaren Mahjong-Spiels, das seit Generationen in Familienbesitz war. Dieses unersetzliche Elfenbeinplättchen trug das chinesische Zeichen für
dong,
Ostwind. Als Simon Taiwan verlassen hatte, um in London aufs Internat zu gehen, hatte sein Vater das antike Set auseinandergerissen, um Simon diesen Spielstein mitzugeben. Er hatte gesagt, dass dieses Stück Elfenbein ihn immer an seine Herkunft erinnern würde. Und eines Tages würde es ihn zurückbringen.
Simon konzentrierte sich auf den komplizierten Mechanismus, um die Schachtel zu öffnen. Schließlich öffnete sich der Deckel, und erleichtert stellte er fest, dass das Plättchen noch dort war. Als er die Schachtel wieder verschloss, spürte er, wie sein Nacken kribbelte. Es war fast so, als hätte er ein Warnsignal empfangen. Er schlang ein Handtuch um die Hüften, denn er spürte, dass
sie
in der Nähe war. Das war neben der Kälte vermutlich der Grund, warum seine Haut so übersensibel reagierte. Inzwischen spürte er ihre Anwesenheit. Er nahm sie wahr wie einen plötzlichen Temperaturwechsel.
Seit gestern, als sie ihn so überraschend verwöhnt hatte, hatte er keinen Kontakt mehr zu ihr gehabt. Er hatte sie schließlich auf ihr Zimmer verbannt, aber er konnte sich nicht entscheiden, was er mit ihr anfangen sollte. Zuerst wollte er mit Lane Chandler reden, am liebsten sogar persönlich. Simon wusste nicht, wem er noch vertrauen konnte. Lanes Concierge-Service hatte ihm den weiblichen Bodyguard namens Jia Long vermittelt. Im Chinesischen bedeutete ihr Name “wunderschöner Drache”.
An Longs Referenzen gab es nichts auszusetzen. Sie war von israelischen Kampfkunstspezialisten ausgebildet worden, hatte für verschiedene Geheimdienste gearbeitet, und ihr Lebenslauf beschrieb sie ziemlich geheimnisvoll als Entfesselungskünstlerin, geübt im Umgang mit exotischen Waffen.
Er stieß die Tür auf und sah sie am Ende des Korridors, der zu seinem Schlafzimmer führte. Rasch wandte sie den Blick ab, als er den Flur betrat. Mit gesenktem Kopf kniete sie auf dem Boden und hielt etwas in ihren Händen. Simon ging auf sie zu und fragte sich, warum seine Beine beim Anblick einer knienden Frau zitterten. Er hatte doch die besseren Karten, denn er stand und überragte sie.
“Was ist das?”, fragte er und meinte den verzierten Metallgegenstand, den sie ihm entgegenhielt. Bevor sie antworten konnte, sah er, dass es sich um den Schlüssel zur Tür des Gästezimmers handelte. Als er die Wohnung eingerichtet hatte, hatte er eine antike Tür mit Mattglasscheiben gefunden, die ihn an die Schiebetüren im Haus seiner Familie in Taiwan erinnert hatte. Er hatte sie auf der Stelle gekauft.
“Das ist der Schlüssel zu meinem Zimmer”, sagte sie. “Ich habe ihn Ihnen gebracht, damit Sie mich einschließen können.”
“Warum sollte ich das tun?”
“Weil Sie mir sonst nie vertrauen werden. Bitte, schließen Sie mich ein, solange es nötig ist. Ich flehe Sie an.”
Sein Blick verschwamm für einen Moment. Ihr geschmeidiger Körper schien silbrig weiß zu schimmern. Ihr vertrauen? Das würde er niemals können. Er wagte es nicht, dennoch spürte er, dass sie es ernst meinte. Tatsächlich, er glaubte ihr.
Aber vielleicht war es genau, was sie wollte.
“Sie sollen mich beschützen”, sagte er. “Wie wollen Sie das machen, wenn Sie in Ihrem Zimmer eingesperrt sind?”
Fassungslos sah sie ihn an. “Wie soll ich Sie beschützen, wenn Sie mir nicht vertrauen? Wenn Sie Ihr Leben nicht in meine Hände legen wollen?”
Simon wollte lachen, aber seine Kehle war plötzlich wie ausgedörrt. Er würde sie einschließen. Gott, ja, er würde es tun. Aber er konnte sich keinen Raum vorstellen, aus dem sie nicht entkommen könnte. Dafür brauchte er schon einen Banktresor und eine Zwangsjacke.
18. KAPITEL
F ür Seth Black war nicht Wissen Macht, sondern Informationen. Informationen berauschten ihn und machten ihn high. Sie brachten ihn
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