Die Assistentin
würde er verbrutzeln. Natürlich hätte er den Stecker herausziehen müssen, aber manchmal liebte er es, ein bisschen gefährlich zu leben. Wie sollte er sonst beweisen, dass er kein jammernder, heulender Schlappschwanz war?
Das Hämmern an der Tür setzte wieder ein. Zögernd drehte er sich um und ging auf die Eingangstür zu. Es war hart. Am liebsten hätte er versucht, das Klopfen zu ignorieren, doch es war laut und unnachgiebig. Er stolperte über ein Kabel und fiel fast hin. Das regte ihn so auf, dass er sich grummelnd wieder aufrichtete und fast zur Tür rannte.
Mit klopfendem Herzen entriegelte Seth endlich die Tür.
Vorsichtig öffnete er sie einen Spalt. Schweiß lief ihm übers Gesicht, und seine Finger fühlten sich steif an, als wären sie erfroren. Sie gehorchten ihm kaum.
Das lächelnde Gesicht eines kleinen Mädchens begrüßte ihn. “Wollen Sie ein paar Pfandfinderkekse kaufen?”
Sie saß auf den Treppenstufen und wartete anscheinend darauf, dass er vor die Tür trat. Aber ihre Sommersprossen und die ungezähmten roten Locken erweckten sofort Seths Misstrauen. Dabei war das Mädchen noch nicht einmal in der Pubertät. Jetzt stand sie auf, stolz wie Oskar in ihrer karierten Schuluniform, und zeigte ihm eine Schachtel mit Keksen, die man in jedem Laden kaufen konnte. Das war doch Betrug! Er hatte von Kindern gehört, die so taten, als würden sie für die Pfadfinder sammeln und dann das Geld für Drogen ausgaben.
“Und dafür hast du fast meine Tür eingeschlagen?”, schnauzte er sie an. “Du hättest mich umbringen können!”
Ihre Augen wurden groß wie Untertassen, aber Seth kaufte ihr die Unschuldsmiene nicht ab. Er zog sich zurück und knallte die Tür so heftig zu, dass die Wände wackelten. Ein paar Kartons fielen um.
Er hörte das Mädchen weinen, aber darauf gab er nichts. Man sollte den Kindern verbieten, falsche Pfadfinderkekse an der Tür zu verkaufen. Kinder sollten überhaupt nichts verkaufen dürfen. Man brauchte sich ja nur anzuschauen, was sie mit ihrer piepsigen Stimme und den kleinen Fäusten angerichtet hatte. Wie konnte so ein kleines Biest nur so einen Krach machen?
Er schaffte es bis zu seinem Schreibtisch und brach auf dem Sessel zusammen. Er war vollkommen erledigt und atmete schwer. Es fühlte sich an, als würden seine Lungen den Brustkorb sprengen. Sein Herz pochte wie rasend, was seine furchtbare Angst nur noch verstärkte. Es war, als sei aus heiterem Himmel ein Sturm über ihn hereingebrochen. Das Dröhnen in seinen Ohren war wie ein Tornado, der ihn hochriss und irgendwo, weit entfernt wieder ausspucken würde. Von ihm würde nichts übrig bleiben als die verstopften Talgdrüsen und die Pickel, die er so hasste.
Sein Blick fiel auf die Leiterplatte, die mit den offenliegenden Drähten auf dem Fußboden lag. In dieser Sekunde begriff er, warum Leute ihr Auto gegen einen Baum fuhren, zu viele Pillen schluckten und andere verrückte, waghalsige und selbstmörderische Dinge taten. Sie taten es, weil der Schmerz zu groß wurde und sie damit nicht weiterleben konnten.
Seth Black wollte nicht sterben. Er wollte nur, dass diese Panikattacke aufhörte.
Er ließ sich auf den Boden fallen. Die Hände schwebten über den offenen Drähten, und verrückte Gedanken kamen ihm in den Sinn. Elektroschocktherapie. Es würde unglaublich wehtun, vielleicht würde es ihn sogar umbringen, doch es wäre ein Schmerz, den er selbst gewählt hätte. Das war der Unterschied. Seine Entscheidung. Sein Schmerz. Er würde alles tun, um den Dämonen die Herrschaft zu entreißen.
Seine Hände schwebten immer noch zitternd über den Drähten, als eine kleine weiße Karte herunterfiel und auf seinem Arm landete. Er hätte sie abschütteln können, aber irgendetwas hinderte ihn daran. Es war die Visitenkarte, die dieser Typ vom Finanzamt ihm dagelassen hatte, zusammen mit den fünfhundert Kröten.
Seth pflückte die Karte von seinem Ärmel und knickte sie aus Versehen, als er sich zurücklehnte, um sie anzuschauen. Nichts, was er nicht auch schon beim ersten Mal gesehen hatte, als er die Karte gemusterte hatte. Nur ein Name, eine Mobiltelefonnummer und eine E-Mail-Adresse.
Merkwürdig, aber er fühlte sich bereits ein bisschen ruhiger. Das Getöse in seinen Ohren hatte aufgehört, und sein Atem ging wieder normal, obwohl er nicht begriff, warum. Geld regte ihn zugleich an und beruhigte ihn, ohne dass er sich diese Wirkung erklären konnte. Finanzbeamte verfügten nicht über genug Geld,
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