Die Astronauten
neutralisieren kann.«
»Natürlich.«
»Ähnlich ist es hier: Die Venusbewohner beseitigen örtlich die Anziehungskraft des Planeten mit Hilfe einer künstlichgeschaffenen Gravitation, die im entgegengesetzten Sinne wirkt. Zum Start eines Weltraumfluges genügt unter diesen Umständen eine minimale Antriebskraft.«
»So ist das also ...«, sagte Oswatitsch, und ich fügte hinzu: »Die weiße Kugel hat also einen Zweck, und zwar einen ganz eindeutigen. Warum sagte also Professor Chandrasekar, daß ...«
»Vielleicht hatte sie einmal einen Zweck«, sprach der Mathematiker, jedes einzelne Wort betonend, »aber jetzt ... hat sie keinen mehr.«
»Ja, wieso denn, um alles in der Welt?«
»Ich kann wohl den Sinn und Zweck eines Automaten begreifen, der Weichen und Signale vor anrollenden Zügen stellt«, sagte Chandrasekar und blickte mich dabei mit seinen dunklen Augen prüfend an. »Ich kann aber nicht den Sinn eines Automaten begreifen, der den Weg vor niemandem und für nichts frei macht.«
»Wie ...? Wie soll ich das auffassen?«
»Ganz einfach. Die Kugel bildet in bestimmten Zeitabständen ein Gravitationsfeld, das die Anziehungskraft des Planeten aufhebt. Es dient zu nichts, und es dient niemandem. Die interplanetaren Geschosse sind nicht vorhanden, und es fehlt das geringste Anzeichen dafür, daß irgend jemand beabsichtigt, welche starten zu lassen. Diese ganze Anlage ist nichts anderes als ein gewaltiges Katapult, das nach einer gewissen Zeit mit einem ungeheuren Energieaufwand den Raum öffnet und nichts, nichts in ihn hinausschleudert!«
»Das ist tatsächlich schwer zu verstehen«, sagte Oswatitsch. Mit gefurchter Stirn, die Lippen zu einer scharfen Linie zusammengekniffen, blickte er wie abwesend in die Ferne.
»Sie haben recht, es ist sehr schwer zu verstehen«, erwiderte Chandrasekar mit einem leichten Seufzer. »Ich habe schon über die verschiedensten Möglichkeiten nachgedacht. Vielleicht wollen Sie etwas dazu sagen?«
»Ich könnte mir vorstellen, daß ein oder mehrere Raumschiffe bereits abgeschossen worden sind und die weiße Kugel jetzt tätig ist, weil die Rückkehr erwartet wird«, meinte Oswatitsch. »Vielleicht ist es leichter, sie in ständiger Tätigkeit zu halten, als sie nur dann in Gang zu bringen, wenn ein Schiff abfliegt oder landen will.«
Chandrasekar nickte. »An eine solche Möglichkeit haben wir gedacht. Diese Annahme fällt jedoch im Feuer einer physikalisch-mathematischen Analyse zu einem Nichts zusammen. Die weiße Kugel kann innerhalb weniger Sekunden in Tätigkeit gesetzt werden. Die Energieverschwendung, mit der sie zur Zeit arbeitet, ist bei so hervorragenden Konstrukteuren, wie es die Bewohner der Venus sind, erstaunlich. Nach flüchtiger Berechnung beträgt die Leistung dieser Anlage rund hundert Milliarden Kilowatt.«
»Vielleicht sind es Versuche?« warf ich ein.
»Versuche?!« rief Arsenjew. Er sprang auf und stützte sich mit den Fäusten auf den Tisch. »Das sollen Versuche sein? Versuche, die schon monatelang andauern? Denn so viel Zeit ist bereits verflossen, seit wir hier angekommen sind, und die Kugel ist stets nur in der gleichen Weise tätig. Das sollen Versuche sein? Daran glaube ich nicht. Neben den rein verstandesmäßigen Voraussetzungen habe ich auch noch meinen Instinkt als Physiker und Mathematiker. Wenn ich diese graphischen Darstellungen betrachte, so kommt alles in mir hoch. Dieses Zu- und Abnehmen, dieses träge Fluten der Ströme, diese plötzlichen Sprünge und das ebenso plötzliche Absinken der Spannung, was soll das alles bedeuten?« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Drei Stunden habe ich über dem Kram gesessen. Das ist alles so ungereimt, unsinnig, idiotisch. Ganz einfach idiotisch, versteht ihr! Übrigens ... Was bedeutet dieses geborstene, zerrissene Rohr in der Schlucht? Und der Krater? Das sollen wohl Spuren der ›Versuche‹ sein, was?«
Er machte eine hilflos wütende Handbewegung und ließ sich in den Sessel fallen.
»Da ist noch eines ... Vielleicht sollte man es in Betracht ziehen ...«, sagte Oswatitsch. Er sprach sehr leise, als ob er sich seiner Sache noch nicht sicher sei. »Ich denke an das Protoplasma im schwarzen Fluß. Wäre es nicht möglich, daß das ... daß es dies alles schuf und dann degenerierte, das heißt, irgendeiner Vertierung unterlag?«
»Ach, Sie sind der Meinung, daß das Plasma der einzige Bewohner der Venus ist?«, rief ich. Dieses Bild warf mich durch seine Ungewöhnlichkeit geradezu um.
Weitere Kostenlose Bücher