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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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ruhiger, leidenschaftsloser Stimme. Bis zu meinem Dienst waren es noch zwei Stunden. Ich hatte jedoch keine Lust, meine Kabine aufzusuchen, und ging deshalb wieder in die Zentrale. Soltyk saß unter den Schalttafeln des Marax, von ihrem hellen Schein umflossen, und betrachtete aufmerksam einen großen Bogen Papier, der wie ein Stadtplan aussah.
    »Was ist denn das?« fragte ich ihn.
    »Warschau«, entgegnete er, ohne den Kopf zu heben. Er fuhr mit dem Finger langsam über den Plan, irrte sich und kehrte wieder, wie bei der Wanderung, die er wohl in Gedanken durch die Straßen der Stadt machte, zum Ausgangspunkt zurück, um den verlorenen Weg zu suchen.
    »Ist das deine Heimatstadt? Ich war noch nie dort. Erzähle mir von Warschau.«
    Er blickte mich zerstreut an, dann wandte er sich wieder seinem Plan zu.
    »Du warst noch nie in Warschau?« fragte er mich in einem Ton, als wollte er sagen, du hast noch nie die Sonne gesehen? Ich setzte mich auf die Lehne des Sessels und schaute auf die verschiedenfarbigen Vielecke. Soltyk faltete behutsam den Bogen zusammen.
    »Wenn ich an die Erde denke«, sprach er, »dann denke ich an Warschau, dann ...« Er stockte. »Es gibt viel größere Städte ...«
    Wieder zögerte er.
    »Und viel prächtigere, aber sie ist ... sehr schön.«
    Wir schwiegen beide. Für einen Augenblick tauchten über dem Grün von Bäumen weiße, hochragende Mauern vor mirauf. Plötzlich erscholl das laute Signal des Summers. Ich fuhr zusammen. Der Ingenieur deutete zu den Meßinstrumenten des Marax hinauf.
    »Siehst du? Er hat ja auch seit sechzehn Stunden nicht ein einziges Mal stillgestanden.« Soltyk hob den Hörer ab. Arsenjew meldete sich und bat mich, sofort mit dem Werkzeug in die Kabine zu kommen, da an den Kühlanlagen des Marax etwas beschädigt sei. In der Kabine waren Arsenjew, Chandrasekar und Lao Tsu. Der Geruch überhitzter Leitungen hing noch in der Luft. In langen Reihen leuchteten die roten Signale der blockierten Schalter. Arsenjew ging zwischen den geöffneten Verteilertafeln auf und ab.
    Es stellte sich heraus, daß eine Pumpe der Kühlanlagen ausgefallen und dadurch die Temperatur der Röhren über die Sicherheitsgrenze angestiegen war.
    Trotzdem hatten die Wissenschaftler den Marax erst ausgeschaltet, als die Berechnungen abgeschlossen waren. Eine Viertelstunde lang war ich zwischen den riesigen Kapazitronen beschäftigt. Dann kletterte ich durch enge Schächte unter den Fußboden der Kabine, wo sich die Zentrifugalpumpen befanden. Dort, inmitten all der Kabel, die sich wie die Wurzeln eines Baumes über mir und um mich herum wanden, wechselte ich in unerträglicher Hitze und Enge das heißgelaufene Lager aus.
    Als der Schaden beseitigt war und ich gerade die Kabine verlassen wollte, hielt Arsenjew in seiner Wanderung inne und blieb vor mir stehen. »Sie wissen, daß wir über dem Toten Wald kreuzen?«
    »Ja.«
    »Wie denken Sie über seine Entstehung?«
    »Ich bin kein Fachmann, kein Geologe, also ...«
    »Das macht nichts. Sie haben sich doch etwas gedacht. Na, sagen Sie es ruhig!«
    »Vielleicht ist es der Boden eines Meeres, das allmählich ausgetrocknet ist. Und dabei sind die im Wasser gelösten Salze in diesen wunderlichen Gebilden kristallisiert.«
    »Kurzum, Sie halten ihn für eine geologische Formation?«
    »Ja.«
    »Ja ...«, wiederholte der Astronom nachdenklich. Dann begann er von neuem in der Kabine auf und ab zu gehen. Ichstand noch immer mit den Werkzeugen in der Hand da.
    »Ein natürliches Entstehen solcher Kristalle ist unmöglich.«
    »So sind es also künstliche Gebilde?«
    »Künstliche schon, aber nicht beabsichtigte.«
    »Das begreife ich nicht.«
    »Auch wir konnten es lange nicht begreifen ... Wenn wir auf irgendein Werk lebender Wesen stoßen, so versuchen wir stets seine Bestimmung, seinen Zweck zu ergründen. Der Tote Wald war zu der Zeit, als er gebaut wurde, nicht tot. Er ist die Ruine eines gigantischen Akkumulators für Strahlungsenergie, und wahrscheinlich nur einer von vielen.«
    »Wissen Sie auch, welchen Zweck er diente?«
    »Eben diese Frage haben wir dem Marax viele Male vorgelegt. Wir gaben ihm die Struktur, die Ausmaße, die Art des Materials an, aus dem sich der Tote Wald aufbaut, und er bemühte sich wie ein Ingenieur, die technischen Daten zu einem logischen Ganzen zusammenzusetzen. Solange uns keine Einzelheiten bekannt waren, standen dem Marax, wenn man so sagen kann, viele Möglichkeiten einer Synthese offen. Er antwortete, daß der

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