Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
›Rapport‹, der berühmte ›Rapport‹ war ja auch in Schwingungen abgefaßt ... Ob es vielleicht die gleichen sind?«
    »Wie Sie sehen, ist Professor Chandrasekar nicht hier. Er bemüht sich seit fast zwei Stunden, mit Hilfe des Marax diese Frage zu beantworten. Vorderhand müssen wir uns gedulden ...«
    Als ich in die Zentrale zurückkehrte, kam ich an der Kabine vorüber, in der sich Marax befand. Ich wollte einen Blick hineinwerfen, aber das große rote Warnschild »Nicht stören« hielt mich davon ab. Oswatitisch saß noch immer über seinem Euklid in der Zentrale. Ich ging also zur Schleusenstation, zog einen Skaphander an und stieg auf den Rücken der Rakete hinauf.
    Schwarze, frostklare Nacht umgab mich.
    Der Nebel war verschwunden. Unzählige Reflexe hervorrufend, glitt der weiße Lichtkegel meines Scheinwerfers über die Eisfläche, bis er sich inmitten undeutlicher, von einer dünnen Schneeschicht überstäubter Formen verlor.
    Ich schaltete den Scheinwerfer aus und ließ mich auf dem Panzer nieder. Geraume Zeit sah ich überhaupt nichts. Ich mußte auch noch das Radargerät ausschalten, da mich der grünlich schimmernde Schirm im Innern des Helmes geradezu blendete. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Finsternis und vermochten nun mehrere Tönungen darin zu unterscheiden. Diese waren ganz unten am Horizont besonders stark, dort, wo ich die Berge vermutete. Der Himmel war um eine Spur heller, aber man bemerkte es kaum; es war nicht einmal jenes schwache Zwielicht, das der Mond durch eine dichte Wolkendecke auf die Erde wirft. Von unten, von der Eisdecke her, kam leises Knistern. Das Eis wurde stärker und hob den Rumpf der Rakete allmählich immer höher. Bis jetzt hatte ich nach Norden, in die Richtung des Engpasses geschaut. Nun wandte ich mich nach Süden und erblickte – einenverschwommenen, aschgrauen Schimmer. Anfangs hielt ich es für eine Täuschung. Aber als ich eine Weile angestrengt hinübersah, konnte ich sogar die Gipfel der Berge vor dem grauen Hintergrund erkennen. Kein Zweifel, es war dort tatsächlich heller.
    Ich kletterte in die Rakete zurück, ließ den Skaphander in der Schleusenkammer und begab mich zum unteren Korridor. Das rote Licht über der Kabine des Marax leuchtete nicht mehr. Ich öffnete leise die Tür. Neben dem Pult, das in seinen Umrissen an eine Glocke erinnerte, standen auf einem kleinen Gerätewagen einige Apparate – Kaskadenverstärker und ein gewöhnlicher Lautsprecher.
    Vier von den Wissenschaftlern waren in der Kabine. Der Physiker hockte am Pult. Neben ihm, mit dem Rücken zu mir, saß der Astronom und schien gespannt etwas zu betrachten, was sich zwischen den geöffneten Isolationswänden des Marax befand. Chandrasekar und Rainer standen in der Ecke. Der Chemiker, die Ellenbogen auf ein Rohr der Konstruktion gestützt, verbarg das Gesicht in beiden Händen.
    Alle schwiegen. Der Raum war von einer solchen Reglosigkeit erfüllt, daß ich mich nicht zu sprechen traute. Lao Tsu, der mich als erster bemerkte, machte eine Bewegung.
    Arsenjew hob den Kopf und zwinkerte wie geblendet mit den Augen. »Ach, Sie sind es.«
    Ich stand noch immer an der Tür.
    »Treten Sie nur ein!« sagte der Astronom.
    Für einen Augenblick glaubte ich, der Chinese sähe mich etwas sonderbar an. Aber es war nur das Licht, das in seinen Brillengläsern funkelte.
    »Ist das Experiment gelungen ...? Haben Sie etwas entdeckt?« fragte ich.
    Lao Tsu schüttelte den Kopf. »Nein, aber ... Professor Chandrasekar hat einen bestimmten Versuch gemacht, der ... ein recht merkwürdiges Resultat ergab.« Er sprach die letzten Worte so langsam aus, daß mich ein Schauer überrieselte.
    »Was bedeutet das?«
    »Wollen wir vielleicht noch einmal ...?« fragte der Chinese, ohne die Frage zu vollenden. Da niemand antwortete, schaltete er den Verstärker ein. Zuerst vernahm ich ein dumpfes Brausen, Knattern, dann einige unangenehme, schrille, raschabreißende Pfiffe. Plötzlich erklang aus dem Lautsprecher eine Melodie düster, erhaben, gewaltig und doch voll Angst und tiefstem Schrecken. Sie erweckte keine Furcht, denn sie war es selbst. Ein Entsetzen lag in ihr wie in den Riesenskeletten jurazeitlicher Ungeheuer, die in grausigem Kampfe erstarrten, als sie der Strom der glühenden Lava erfaßte und für Ewigkeiten in ihrer Haltung unaussprechlichen Schmerzes festhielt. Die Musik glich den riesenhaften Knochen, die einmal Rückgrat und Rippen waren, die nicht mehr dem Leben angehörten und doch

Weitere Kostenlose Bücher