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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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noch nicht zu Kalkfelsen geworden sind – Teile einer toten Welt. Und so tönte auch diese Melodie: seltsam, geheimnisvoll, unheimlich – und doch so nahe, daß ich an manchen Stellen vermeinte, sie müßte von Menschen hervorgebracht sein. Ich wollte schreien: Genug! Genug! Haltet es an! – aber ich vermochte den Mund nicht zu öffnen und lauschte weiter wie unter einem Bann, als betrachtete ich durch eine Glasscheibe die Todeszuckungen eines Ungeheuers von unbegreiflichen Formen, von dem ich nichts wußte, als daß es umkam ...
    Noch einmal dröhnte der schauerliche Chor auf, dann war es still. Nur der eingeschaltete Lautsprecher summte noch.
    Wir alle verharrten in tiefem Schweigen. Unter uns war das feine Geräusch des tätigen Mechanismus zu hören.
    Es verging geraume Zeit, ehe ich mich zu der Frage aufraffte: »Was war das?«
    »Ein Kristall ... einer aus diesen kleinen Geräten«, erwiderte Chandrasekar, trat an den Apparat und nahm das Metallkorn aus den Halteklammern.
    »Mir kam der Gedanke, die elektrischen Schwingungen in Töne umzuwandeln. Ich hatte keine Ahnung, daß dies ihre eigentliche Bestimmung sei ... Die Tatsache, daß diese Töne eine Melodie bilden, mag ein Zufall sein ...«
    »Und die anderen, was ist damit?« fragte ich und wies auf die verstreut umherliegenden silbrigen Körner. »Nichts als ein Durcheinander von Tönen, die fast das Trommelfell zerreißen«, antwortete der Mathematiker. »Ich weiß selbst nicht, wie ich auf dieses Experiment gekommen bin«, fügte er nach einer Weile hinzu. »Übrigens glaube ich nicht, daß es sich um Musik handelt. Vielleicht ist es sogar ...«
    Arsenjew unterbrach ihn. »Was hast du denn, Lao?« sagteer zu dem Physiker. Der war vom Apparat aufgestanden. Er hob das Gesicht mit einem Ausdruck, als blickte er in ein fernes Licht. Arsenjews Frage hatte er gar nicht gehört. Langsam ließ er den Kopf wieder sinken. Er strich einige Male über die Glasplatte, wie wenn er sie glätten wollte, dann wandte er sich an Rainer: »Doktor ... Seit wann besteht Ihrer Meinung nach diese Eisenablagerung am Ufer? Sie haben doch eine Analyse gemacht.«
    »Ja, die habe ich noch vor dieser verunglückten Expedition gemacht. Wenn man einerseits den niedrigen Sauerstoffgehalt der Venusatmosphäre in Betracht zieht und andererseits das Vorhandensein von Wasser, das katalysierend wirkt, so möchte ich annehmen, daß die Ablagerung seit einigen fünfzig, na, sagen wir sechzig Jahren besteht.«
    »Vielleicht seit neunzig Jahren – könnte das sein?«
    »Ich glaube kaum. Das dürfte nicht der Fall sein. Es sei denn, daß die Temperatur bedeutend angestiegen wäre – woran denken Sie dabei, Professor?«
    »Also wenn die Temperatur bedeutend angestiegen wäre ...«, wiederholte der Chinese sehr langsam. Dann setzte er sich.
    »Glauben Sie ...?« wandte sich Rainer an ihn; doch Arsenjew schnitt die Frage mit einer Handbewegung ab.
    »Lassen Sie ihn. Er hört uns jetzt nicht.«
    Dieses Erlebnis hatte mich derartig beeindruckt, daß ich den schwachen Lichtschein ganz vergaß, den ich bemerkt hatte, als ich auf dem Rücken der Rakete stand. Am nächsten und auch im Verlauf der folgenden Tage leuchtete der Himmel im Glanz stiller elektrischer Entladungen. Aber jener graue Schimmer war nicht mehr wahrzunehmen.

Der große Fleck
    Sechzehn Tage brauchten wir, um die hohen atmosphärischen Schichten zu untersuchen. Ich sage Tage; denn obwohl der Talkessel in tiefste Dunkelheit gehüllt war, behielt unser Organismus den vierundzwanzigstündigen Rhythmus von Schlaf und Wachsein bei. Zusammen mit den Physikern stellte ich Radargeräte und Reflektoren für ultraviolette Strahlen auf. Auch ließen wir Ballonsonden steigen, die die Dichte der Ionisierung registrierten. Die eingebauten automatischen Sender übermittelten uns die Resultate der Messungen. Rainer führte im Laboratorium die Analyse der Minerale durch, die Arsenjew und Lao Tsu im Toten Wald gesammelt hatten. Chandrasekar war in komplizierte Berechnungen vertieft.
    Voller Ungeduld erwartete ich den Anbruch der Morgendämmerung; denn auf diesen Zeitpunkt waren die wichtigeren Pläne verschoben worden. Draußen war es noch immer sehr kalt. Die Eisdecke des Sees bildete eine ideale, glatte Fläche, denn dem Orkan war absolute Windstille gefolgt. Durch die Wolken flackerten leuchtende Streifen, die an ein dunstverschleiertes Nordlicht erinnerten. Am zwanzigsten Tage brauste ein fürchterliches Unwetter über den Talkessel hinweg. Von

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