Die Attentäterin
Augenblicklich erwacht eine seltsam bläuliche Flamme zum Leben. Dann dreht sich Eliana um und streut mehr Pulver in Richtung der vier Ecken des Raumes aus. Ihr Summen steigert sich zu einem Singsang.
»Geister, ich rufe euch... Geister, ich rufe euch...«
Raman wird sich einer merkwürdigen knisternden Spannung bewußt, die den Raum und sogar seinen Schädel zu durchdringen scheint. Die Spannung schwillt zu einem Pulsieren an, von dem ihm schwindlig wird, als würde er fallen, wenn er aufzustehen versuchte. Er fühlt sich mit der Erde verwurzelt, in seiner Stellung erstarrt. Solche Empfindungen sind beunruhigend, aber er hat sie auch früher schon überlebt. Sie sind Teil der Magie. Ein Nebeneffekt, behauptet die Frau.
Eliana schwankt jetzt vor dem Altar hin und her, und ihre Stimme erhebt sich zu einem Gesang. Jeder Ton ist wie Gold und breitet sich mit glockenheller Klarheit aus. Die Reinheit ihrer Stimme läßt die sinnliche Schönheit ihres Körpers so trivial erscheinen, daß sie bedeutungslos wird. Raman hat noch nie so eine Stimme gehört. Der Gesang ist bezaubernd.
Plötzlich fängt sie an zu tanzen, wiegt sich sinnlich, verführerisch, läßt die Hände über die üppigen Konturen ihres Körpers gleiten, rollt mit den Hüften. Ihre Bewegungen lassen sie einen breiten Kreis beschreiben und machen wegen ihrer sinnlichen Anziehungskraft sogar der Schönheit ihrer Stimme Konkurrenz.
Was all das für eine magische Bedeutung hat, weiß Raman nicht, und es ist ihm auch egal. Für ihn als Mann hat der verführerische Tanz nur eine wahre Bedeutung. Er ist eine Einladung, und zwar eine, der man nur schwer widerstehen kann. Sie hat kaum begonnen, da ist er schon vollständig erregt. Die nächste Viertelstunde verbringt er damit, sich gegen den Drang zu wehren, aufzustehen und den Sirenengesang dieser Frau zu beantworten. Das Blut pulsiert heiß in seinen Adern. Die Hitze zwischen seinen Lenden ist kaum noch zu ertragen. Dennoch wird ihm klar, daß sie wiederum nur mit ihm spielt, absichtlich oder nicht. Würde er seinem Bedürfnis folgen und sich auf irgendeine Weise in ihre Magie einmischen, geriete Eliana in Wut, und das wäre in der Tat sehr gefährlich.
Mit einer einzigen Handbewegung und einem geflüsterten Wort hat sie ihn einmal mit einer derartigen Wucht gegen die Rückwand dieses Raumes geschleudert, daß er glaubte, sein Rückgrat sei gebrochen.
Nie wieder...
Plötzlich bricht am Rand des Kreises, den Eliana mit ihrem Tanz gezogen hat, eine Flammenwand aus. Die Flammen lassen eine Rauchwolke zur Decke aufsteigen und erlöschen dann. Als sich der Rauch vom Boden hebt, wird Eliana wieder sichtbar, die jetzt in der Mitte des Kreises kniet, der Kerzenwand, dem Altar und dem Spiegel zugewandt.
Sie singt weiter, doch leise jetzt. Von Zeit zu Zeit schwankt sie, hebt die Arme, und jetzt wird es richtig seltsam. Der ganze Raum scheint zu verschwimmen. Raman spürt, wie seine Augenlider schwer werden. Das Verlangen zu schlafen wird beinahe unwiderstehlich... und dann sieht er Eliana plötzlich auf allen vieren vor dem Altar herumkriechen.
Die Magie hat jetzt ernsthaft begonnen. Die Luft vibriert vor Kraft. Die Frau hat sich verwandelt. Ihr Gesicht ähnelt jetzt dem seltsamen Katzenbild auf ihrem Medaillon. Ihre Augen sind kohlschwarz, die Fingernägel wie Krallen und so lang wie die Finger selbst. Ihre Hände ähneln Pfoten. Ihr gesamter Körper scheint von einem glänzenden goldenen Fell bedeckt zu sein. Während sie sich bewegt und sich dabei hin und her wendet und manchmal sogar vollständig umdreht, faucht und schnurrt sie, wobei sie hin und wieder die Zähne bleckt und dabei zwei winzige Reißzähne im Unterkiefer entblößt.
Alle Katzen im Raum umringen sie. Sie sitzen auf den Hinterpfoten und betrachten sie wie verzaubert. Jedesmal, wenn sich Eliana bewegt, springen die Katzen direkt vor ihr beiseite, als seien sie eifrig darauf bedacht, ihr aus dem Weg zu gehen. Kaum hält Eliana inne oder wendet sich in eine andere Richtung, bleiben sie augenblicklich stehen und kehren an ihren Platz zurück, wo sie sich wie zuvor hinsetzen, reglos wie Statuen, und sie wie in Trance anstarren.
Es ist, als sei ihnen ihr Gott erschienen.
Haben Katzen Götter? fragt sich Raman, doch dann überwältigt ihn wieder das Seltsame der Situation. Die Augen fallen ihm zu. Als sie sich wieder öffnen, sieht er im Spiegel über dem Altar ein Bild wabern, so transparent wie Wasser und doch so klar zu erkennen wie das Flimmern
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