Die Attentäterin
wurde im Gingko Club getötet.«
»Davon habe ich gehört! Die Polizei hat die Namen der Getöteten nicht freigegeben!«
Das weiß Ingrid bereits. »Harris wurde auf ähnliche Weise getötet, und zwar mit einer Maschinenpistole im Ardmore Royal Residence Plaza.«
»Wer ist für die Anschläge verantwortlich?«
»Alle drei haben in Exotechs Abteilung für Sonderprojekte gearbeitet. Das ist die Abteilung, die die rituelle Beschwörung für den SimSinn-Chip Abbirleths Beschwörung durchgeführt hat.«
»Hat dieser Hit-Chip etwa mit den Morden zu tun?«
»Der Leiter der ASP ist direkt dem leitenden Geschäftsführer von Exotech, Bernard Ohara, unterstellt.«
»Ohara hat seine eigenen Leute umbringen lassen?«
Ingrid zögert, dann schließt sie das Fenster. Sie hat genug gesagt. Genau das, was man ihr aufgetragen hat. Vermutlich wird die berüchtigte Joi Bang den Rest erledigen.
»Okay, Schatz«, sagt Ingjid. »Fahr los.«
Genau das tut Ivette, und einen Augenblick später sind sie auf der Straße und in der Dunkelheit verschwunden.
46
Der Nudelstand befindet sich nördlich der Washington Avenue mitten auf dem Südmarkt. Raman
steht mit dem Rücken zur Verkaufstheke und mampft einen Teller Nudeln, die so stark gewürzt sind, daß Tikki die Augen allein schon vom Geruch tränen.
Tikki steht am Telekom neben dem Stand und zieht an einer schlanken Hoyo de Monterrey Zigarre. Sie rechnet eigentlich nicht mit Ärger, nicht jetzt, was auch der Grund dafür ist, daß sie sich den Genuß einer Zigarre gönnt. Trotzdem hält sie die Augen in Bewegung. Das Labyrinth der Gänge zwischen den Marktbuden und Ständen wimmelt von Menschen, die alle in Bewegung sind, sich hierhin und dorthin wenden, die Hände bewegen und in Jacken und Taschen greifen. Ein tödlicher Angriff könnte aus jeder beliebigen Richtung kommen.
Eine Sache trägt zur Verbesserung ihrer Laune bei: Ramans Augen sind ebenso in Bewegung wie ihre.
Ihm zu vertrauen, fällt ihr nicht leicht. Daß er ein Wertiger wie sie ist und sich wie ein Profi bewegt, ist eine Hilfe. Daß er sie umzubringen versucht hat, tut weh. Daß er seitdem nichts unternommen hat, um ihr Mißtrauen zu erregen, ist eine Hilfe. Daß er offenbar routinemäßig mit einer Magierin zusammengearbeitet hat, tut weh. Ihm vertrauen? Sie hat das Gefühl, sie sollte ihm vertrauen, und doch ist das leichter gesagt als getan. Sie ist wählerisch, und es ist gegen ihre Gewohnheit, jemandem zu vertrauen. Tikki ist sich sehr deutlich der Tatsache bewußt, daß der Großteil der Bevölkerung dieses Planeten ihre Loyalität von der Menge der in Aussicht stehenden Nuyen abhängig macht. Lange Zeit hat sie niemandem außer ihrer Mutter vertraut. Mittlerweile vertraut sie Castellano und bis zu einem gewissen Grad auch Black Mist. Es gibt andere, die sie als eher zuverlässig denn unzuverlässig einstuft. Raman vertrauen? Vielleicht. Im Augenblick vertraut sie ihm. Wie es in einer Stunde aussieht, hängt davon ab, wie er sich in der Zwischenzeit verhält.
Das Telekom summt, und Tikki hebt ab. Der Schirm bleibt dunkel, die Kameralinse ist mit Kaugummi bedeckt.
»Ja«, sagt sie.
Eine Pause, dann: »Der Name wurde nicht gefunden.«
Sie hängt ein.
Damit ist ihre letzte Überprüfung abgeschlossen. Die Botschaft stammt von Black Mist, ihrem Schieber in Chiba. Mit Castellano hat sie sich auch schon in Verbindung gesetzt. All ihre Quellen sagen das gleiche.
Drei Blocks weiter westlich tritt Tikki durch eine Tür in das private Hinterzimmer einer Bar. Man erwartet sie nicht, aber das macht nichts. Die Kang in ihrer Hand geht als adäquate Einladung durch. Sie haut sie dem Muskelprotz über den Kopf, der ihr durch die Tür vorausgeht, und streckt ihn damit zu Boden.
Der Raum ist mit flammend orangefarbenem Kunstleder verkleidet. Ein zweiter Muskelprotz steht an der Bar rechts von ihr. Neben ihm sitzt eine Schnalle in weißem Body und hochhackigen Stiefeln auf einem Barhocker. Sie ist entweder eine Deckerin oder eine Hure, wahrscheinlich beides. Beide vermieten ihre Steckdosen. Der Mann auf dem Sofa im hinteren Teil des Zimmers hat glatt nach hinten gekämmtes Haar und einen dünnen kleinen Schnurrbart und trägt einen schwarzen Anzug ohne Krawatte. Er nennt sich Nickels. Eine Augenbraue schießt in die Höhe, als er die Kang sieht. Er deutet ein Lächeln an, als der Muskelmann vor Tikki zu Boden fällt.
Tikki lächelt nicht.
»Hoi, Striper«, sagt Nickels.
Raman taucht hinter ihr auf und zieht
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