Die Attentäterin
Videos bezeugt - obwohl die Bilder eine Fälschung sind - weil das Video als Ganzes nur die Wahrheit zeigt.
Enoshi mag die Zerstörung des BTL-Labors, mit dem Exotechs Finanzen aufgebessert wurden, sowie den Tod der unter dem Namen Striper bekannten Person veranlaßt haben, aber er hat diese Dinge auf direkten Befehl seines Vorgesetzten Bernard Ohara getan. In Wahrheit, so sieht es jedenfalls Enoshi, ist Ohara für diese Taten genauso verantwortlich, als hätte er persönlich die notwendigen Kontakte geknüpft.
Enoshi hat nur seine Pflicht dem Konzern gegenüber erfüllt, so wie er dies jetzt auch tut. Unter diese Pflicht mögen Dinge fallen, die bedauerlich, sogar abscheulich sind, aber Pflicht ist Pflicht.
Torakido- sama versteht das.
Das träfe auch auf die übrigen Vorstandsmitglieder zu, würden sie über alle unziemlichen Einzelheiten in Kenntnis gesetzt.
Das Video endet. Shimazo Iwao, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von KFK International, schaut von seinem Platz neben dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Torakido Buntaro im Tokioter Konferenzraum über die Länge des Tisches hinweg und sagt: »Wir wissen Ihre Hilfe in dieser Angelegenheit sehr zu schätzen.«
Enoshi verbeugt sich tief.
Mehrere Augenblicke verstreichen. Torakido- sama s ohnehin grimmige Miene verwandelt sich langsam in eine finstere Maske der Ungläubigkeit. »Enoshi- san «, sagt er, »haben Sie irgendeine Ahnung, wer diese Person namens Striper ist oder warum ein Vorstandsmitglied wie Bernard X. Ohara ihren Tod will?«
»Hai, Torakido- sama «, erwidert Enoshi. »Striper ist dem Vernehmen nach eine freiberufliche Agentin verschiedener Unterweltgangs. Sie ist sowohl als Attentäterin als auch als Kick-Artistin bekannt, wobei sich letzterer Ausdruck, wie mir gesagt wurde, auf diejenigen bezieht, welche sich körperlicher Einschüchterungstechniken bedienen. Was eventuelle frühere Verbindungen Ohara- san s zu Striper und den kriminellen Banden, die sie vertritt, oder andere mögliche Motive für seinen Wunsch betrifft, sie eliminieren zu lassen, so ist mir nichts darüber bekannt.«
Der Punkt ist praktisch unwichtig. Der Vorstand wird nicht einmal die Andeutung einer Ungehörigkeit dulden. Oharas Tage sind gezählt.
Mit ernster und zugleich entschlossener Miene schaut Torakido- sama von einem Vorstandsmitglied zum anderen und schließlich zu Enoshi. Dann sagt er: »Domo, Enoshi- san . Sie können jetzt gehen.«
Enoshi verbeugt sich noch einmal, zuerst vor Torakido- sama , dann vor Shimazu -sama, dann dreht er sich um und verläßt das Konferenzzimmer.
Im Vorzimmer serviert eine der Tee-Damen in ihrer blauen Konzernuniform zwei blondhaarigen Frauen Tee, die Enoshi wiedererkennt, obwohl ihm ihre Namen entfallen sind. Sie sehen wie Schwedinnen aus und sind hinreißender als alle westlichen Frauen, die Enoshi je gesehen hat. Enoshi erinnert sich, daß Ohara sie als seine ›Zwillinge‹ bezeichnet hat.
Enoshi bezweifelt, daß sie noch sehr lange Oharas Zwillinge sein werden.
Falls sie es überhaupt je waren.
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»Das ist nicht richtig.«
Die Gegend ist verfallen. Stinkender Müll verstopft die Straßen. Ausgebrannte Autos, Bauschutt, Schrott und verrottender Abfall säumen die Straße. Die Häuser selbst sind drei- und vierstöckige Ruinen, die Fenster eingeschlagen, die Fassaden vom Feuer geschwärzt. Es steht außer Frage, daß sie sich im richtigen Block des richtigen Stadtteils befindet, aber sie kann immer noch nicht glauben, was sie sieht. Das vierstöckige Haus in der Mitte des Blocks ist eine Ruine wie alle anderen Häuser auch. Genau dort sollte sich Adamas Stadthaus befinden. Vor dem Haus steht ein uralter Lincoln American am Straßenrand. Verbeult und verrostet ist er noch nicht reif für den Schrottplatz, aber viel fehlt nicht mehr. Dort, genau an dieser Stelle, sollte Adamas schlanker schwarzer Nightsky stehen.
Tikki schüttelt den Kopf, um ihn zu klären, und schaut noch einmal hin. Es kann nur Magie sein. Ihr fällt keine andere Erklärung ein. Sie wirft einen Blick auf den kräftigen Mann, der neben ihr am Ende der Gasse steht, und versucht ihre Verwirrung in Worte zu kleiden, doch sie bringt kein Wort heraus.
»Du hast unter dem Einfluß eines... mächtigen Magiers gestanden«, sagt Raman ruhig. »Dein Blick war getrübt, wie Eliana gesagt hat.«
Tikki grunzt.
»Vielleicht siehst du diesen Ort jetzt zum erstenmal... wie er wirklich ist.«
Vielleicht stimmt das, vielleicht auch nicht.
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