Die Attentäterin
Ende.
24
Neona verschwendet keine Zeit beim Verlassen der Tauschbörse und hält nur inne, um das Buch
flackernd erröten zu lassen, indem sie ihm einen Kuß auf die Wange drückt und ihn umarmt. Sie rast in Nullzeit durch den Basar und aus Hassans Arche heraus. Kidd Kameys Knoten ist per Satellit nur einen Wimpemschlag entfernt. Sie stürzt sich in das LTG für Reno, Nevada, und jagt durch die Konstrukte, deren grelles Leuchten bis zum Horizont reicht. In einer der schmalen Gassen findet sie ein neonleuchtendes Festzelt, das mit einem Dutzend blinkender Schilder übersät ist, die für den ›gemeinsten Decker in der Matrix‹ werben. Ein Konstrukt wie dieses übersieht man im LTG von Reno leicht, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Hälfte aller Decker im lokalen Gitter Kidd Kameys Stil imitiert.
Ein Druck auf die dicke rote Nase des animierten Clowns, der vor dem Zelt steht, bringt sie durch die Tür.
Und in einen Käfig...
Die Stangen des Käfigs sind schwarz und knistern vor ICs der Sicherheitsstufe Rot. Des weiteren knistern die Ketten und Handschellen um Hand- und Fußgelenke des goldenen Engels, die sie an den Boden fesseln, auf dem sie liegt. Der ganze Knoten nimmt einen rötlichen Schimmer an, als die Farbe ihr Icon einhüllt. Es fühlt sich an, als krabble ein Schwarm kleiner Käfer mit unzähligen Beinen über ihren Körper, der sich irgendwo eine Milliarde Kilometer hinter ihr befindet. Das Gefühl bewirkt, daß sie sich windet. Die virtuellen Effekte sind vielleicht rot, aber das Ice ist das reinste Schwarz, vom schwärzesten. Es ist eine virtuelle Falle mit Elektronenzähnen. Kidd Karney ist bekannt dafür, den einen oder anderen Konzerndecker gegrillt zu haben, der den Weg in sein Zelt gefunden hat. Sie kann jetzt nichts anderes tun als warten, warten und zucken.
»Verdammt noch mal, Kidd!«
Und rufen.
Einen Augenblick später kommt ein geschoßförmiger Achterbahnwagen mit einer hohnlächelnden Dämonenmaske als Vorderseite aus einer der beiden schwarzen Datenlinien im rückwärtigen Teil des Zelts gedonnert und hält kreischend vor dem knisternden Käfig. Kidd Karney liebt dramatische Auftritte. Heute präsentiert er sich als Scheich. Er trägt einen Hut wie ein goldenes Kissen mit Troddeln und Quasten, ein fließendes Gewand, alle möglichen funkelnden Juwelen und komische Schuhe mit nach oben gekrümmten Spitzen. Bei ihm im Achterbahnwagen sitzt ein Schwarm absurd üppiger Negerinnen in Bauchtänzerinnenkleidung, die ihm mit Palmwedeln zufächem wie Sklaven.
»Hoi, Angel!«
»Selber Hoi!«
Kidd Karney drückt auf eine Fernbedienung. Das Knistern hört auf, die Handschellen lösen sich und die Käfigtür schwingt auf. Neona begibt sich zum Achterbahnwagen. Kidd Kamey bedeutet ihr, in dem nach hinten gerichteten Sitz Platz zu nehmen, den sie haßt, aber auf dem nach vorn gerichteten ist wegen der Negerinnen kein Platz mehr, wenngleich er so groß wie ein Bett ist. Neona hat kaum Zeit, sich zu setzen, als Kidd Kamey brüllt: »Es geht looooooooos!«
Der Wagen schießt vorwärts in die Schwärze, mit der Wut eines Dämons durch Korkenzieherröhren und Loopings, wirbelt herum, dreht sich wie ein Kreisel.
Sie sind im Herzinfarkt-Land. Neona schreit. Kidd Karney schreit lauter. Die Negerinnen schreien noch lauter. Der Wagen jagt durch eine Kurve, und plötzlich fliegen sie alle heraus und landen in einem Raum, der dem Wüstenzelt eines Scheichs ähnelt, auf gewaltigen Kissen. Neona braucht einen Augenblick, um sich zu sammeln. Kidd Kamey und seine Negerinnen landen natürlich in einem wirren Durcheinander. Die Negerinnen wechseln von schreien auf wedeln, ohne aus dem Takt zu geraten.
»Freut mich, daß du immer noch in der Matrix rumdüst, Angel.«
»Ja, danke«, erwidert Neona, immer noch ein wenig außer Atem. »Ich brauche deine Hilfe.«
»Sind sie noch hinter dir her?«
Die Burschen aus Miami? »Nein, das ist was Neues. Ich bin auf einem Run.«
»Und schmeißt mit Nuyen um dich?«
»Ja, ich hab etwas Kleingeld zum Spielen.«
»Null Problemo, Muchacha. Ich hab gerade mucho dinero von meinem letzten Johnson eingesackt. Der Run ging nach Yucatan. Ich hab genug Knete. Was für 'ne Gans willst du rupfen?«
Kidd Kamey hatte früher eine Art, Dinge auszudrücken, die von echt verdreht bis unglaublich ekelhaft reichte. Manchmal war es richtig lustig. Hin und wieder war es auch nur komisch oder ekelhaft. »Ich brauch ein paar Informationen, von Matrixrunner zu Matrixrunner,
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