Die Aufrichtigen (German Edition)
dass er nie wirklich verstanden hat, welche Kontroversen er mit seinen Erkenntnissen ausgelöst hat. Ihm ging es nur um die sogenannte historische Wahrheit. Er hatte damals ein neues Buch fertiggestellt und das Manuskript einem bestimmten Geistlichen beim Erzbistum gegeben. Spohr präsentierte alle seine Werke vor der Veröffentlichung den kirchlichen Wissenschaftlern, was für einen Professor an einer kirchlichen Universität auch nichts Ungewöhnliches ist. Soweit ich weiß, ist es niemals gelungen, Spohr zu verbessern oder gar zu widerlegen. Aber der Mann wollte mehr. Seine Arbeit sollte von der Kirche anerkannt werden. Es schien ganz so, als erwarte er eine Art Segen dafür und Konsequenzen aus seinen Schlussfolgerungen.«
»Die konstantinische Schenkung – von Lorenzo Valla bis Ignatz von Döllinger«, warf Leo ein. »Hat der Professor dieses Manuskript eingereicht?«
»Ganz richtig,« erwiderte Dr. Albertz.
»Worum ging es in dem Buch?«
»Ach Blum, nur so ein kirchenhistorischer Kram, fragen Sie mich etwas Leichteres.«
»Aber der Inhalt des Werkes muss für das Verfahren doch von entscheidender Bedeutung gewesen sein! Wie kommt das Deckblatt sonst in die Akte? Sie haben darauf vermerkt, dass es gemäß Vergleich vernichtet worden ist.«
»Donnerwetter,« lachte Dr. Albertz, »erwischt! Nun gut, Sie haben Recht. Spohr behandelte in diesem Buch das Schicksal all derer, die sich mit der sogenannten konstantinischen Schenkung befasst hatten. Er zeigte am Schicksal zweier auserwählter Wissenschaftler, wie der Vatikan direkten Einfluss auf die Forschung genommen und die Arbeitsergebnisse vertuscht oder manipuliert hat.«
»Die konstantinische Schenkung? Aber man weiß doch, dass es sich dabei um eine Fälschung handeln soll.«
»Handeln soll ist gut, Blum. Diese Urkunde ist das zentrale Dokument des frühen Mittelalters. Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass das Papsttum seine weltpolitischen Ansprüche darauf stützt.«
»Wie meinen Sie das?«
Dr. Albertz war in Plauderlaune. Wie auf einen Musterschüler schien er sogar ein wenig stolz auf Leo zu sein.
»Nun, das ist doch ganz einfach. Die katholische Legende besagt, dass Kaiser Konstantin an Lepra erkrankt sei und von Papst Silvester I. das Taufsakrament empfangen habe. Der 31. Dezember ist übrigens sein Namenstag. Durch die Taufe wurde der Kaiser auf wundersame Weise geheilt. Zum Dank dafür gab er dem Bischof von Rom nicht nur den Vorzug vor allen anderen Bischöfen, sondern stattete ihn auch noch mit kaiserlichen Insignien aus. Zudem übertrug er ihm Norditalien als Patrimonium Petri und verlegte den eigenen Regierungssitz nach Byzanz, um dem Papst in Rom keine Konkurrenz zu machen.«
»Damit wäre also die Stellung des Papstes als Oberhaupt der Kirche begründet und ihre direkte Nachfolge in die Weltherrschaft des Imperium Romanum festgeschrieben worden.«
Leo war verblüfft. Er hatte bisher nie verstanden, weshalb dieses Dokument so brisant war.
»Und diese Urkunde ist gefälscht worden?«
Dr. Albertz nickte.
»Das ist heute sicherlich kein großes Geheimnis mehr. Sogar die Kirche hat es zwischenzeitlich eingeräumt, pocht aber immer noch auf den symbolischen Wert der Donatione Constantini. Doch Sie müssen den historischen Kontext berücksichtigen, sonst wird das nichts. Als Karl Martell, Stammvater der Karolinger, im 8. Jahrhundert die Omaijaden bei Poitiers besiegte, waren die Stunden des Geschlechts der Merowinger gezählt. Die Karolinger suchten Verbündete, um ihre ehemaligen Herren vom Thron zu stürzen. Darin witterte Papst Gregor III. seine große Chance. Er unterstützte sie und legitimierte den Putsch gegen die Merowinger. Dafür half Karl Martell dabei, die Langobarden aus Norditalien zu werfen, die 739 Rom belagerten. Durch diesen Bund suchte der Papst seine Herrschaft in Italien zu sichern. Als die Franken aber kurz darauf unter Pippin III. selbst Appetit auf Norditalien bekamen, zog der Nachfolger Gregors III., Papst Stephan II., plötzlich diese Schenkungsurkunde hervor, um die Rechte des Papsttums zu untermauern. So ist das Dokument entstanden.«
»Das Papsttum beruht auf einer schlichten Urkundenfälschung!«, platzte Leo heraus.
»Das ist etwas überspitzt, aber nicht falsch«, lachte Dr. Albertz. »Ich würde die Bedeutung der Urkunde aber nicht überbewerten. Eine ganze Reihe von Intrigen und Fälschungen sowie brutale Gewalttaten und Kriege waren notwendig, um den Primat des Papstes zu festigen. Die Urkunde
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