Die Aufrichtigen (German Edition)
aber hat hohen Symbolwert und zeigt sehr schön Gesinnung und Methode der frühen Päpste. Selbst Papst Pius IX. hat sich noch gegenüber Garibaldi auf die konstantinische Schenkung berufen, als 1870 der Kirchenstaat dem Königreich Italien einverleibt wurde. Vergeblich, wie man weiß.«
»Also hat Professor Spohr nachgewiesen, dass die Urkunde eine Fälschung war? Kein Wunder, dass ihm der Prozess gemacht wurde!«
»Aber Blum, nicht so voreilig. Sie selbst wollten doch chronologisch vorgehen!«
Leo spürte einen Anflug von Röte im Gesicht. Dr. Albertz kostete die Wirkung seiner Worte aus.
»Schon Anfang des 11. Jahrhunderts ließ König Otto III. veröffentlichen, dass die konstantinische Schenkung eine Fälschung sei. Der Nachweis gelang im 15. Jahrhundert voneinander unabhängig sowohl dem deutschen Theologen Nikolaus von Kues, als auch dem italienischen Humanisten Lorenzo Valla. Kues war Papst Nikolaus V. treu ergeben und arbeitete als Diplomat für ihn. Valla dagegen wird seine Schriften spätestens dann bitter bereut haben, als er der heiligen Inquisition überstellt wurde.«
»In der Akte habe ich gelesen«, sagte Leo, »dass er am Ende seines Lebens als Kuriensekretär für den Vatikan arbeitete. Man hat seine Arbeit also doch geschätzt.«
»So kann man das sicher auch sehen. Aber haben Sie sich auch gefragt, weshalb ein Mann, dem man theologisch nicht beikommen konnte, plötzlich einen Traumjob im Vatikan erhielt?«
Dr. Albertz grinste über das ganze Gesicht. Es bereitete ihm sichtlich Freude, Leo auf die richtige Fährte zu bringen.
»Sie meinen —«
»Genau!«, erwiderte Dr. Albertz. »Er wurde gekauft. Wie kann man seinen Gegner besser ausschalten, als ihn für sich arbeiten zu lassen?«
Leo nickte. Er kam sich in diesem Augenblick unglaublich naiv vor.
»Und Ignatz von Döllinger?«
Der Chef antwortete nicht. Seine Augen waren auf Leo gerichtet.
»Oder war es mit dem nicht anders?«,
»Nun,« unterbrach Dr. Albertz nicht ohne Ungeduld, »die Sache mit Döllinger ist um Vieles komplizierter! Döllinger war vielleicht der bedeutendste Theologe des 19. Jahrhunderts. Er war ein entschiedener Gegner des ersten vatikanischen Konzils, das uns das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes beschert hat. Döllinger war nicht damit zufrieden, dass die Fachwelt die konstantinische Schenkung als Fälschung ansah. Er wollte ein Bekenntnis der Kirche, was letztlich die Relativierung des Papsttums bedeutet hätte. 1871 wurde er exkommuniziert. Als Mitbegründer der Altkatholischen Kirche war er mit dem selbst verursachten Schisma mehr als unglücklich. Gerade am Ende seines Lebens setzte er sich leidenschaftlich für die Einheit der Christenheit ein. Es schien, als seien die theologischen Zwistigkeiten für ihn leichter zu ertragen, als die Vorstellung einer entzweiten Christenheit. Er könnte so eine Art Vorbild für Spohr gewesen sein.«
Leo sah Dr. Albertz fragend an, noch wusste er nicht, worauf dieser hinaus wollte.
»Blum, so schwer ist das doch nicht! Obwohl Döllinger den Vatikan und das System des Papsttums attackierte, wollte er noch lange kein Schisma. Und vor allem hörte er nicht auf, Christ und Theologe zu sein. Wahrscheinlich suchte er, wie all die anderen auch, nach der wahren Botschaft. Dabei ist doch eines klar: Es gibt keine christliche Alternative zum Christentum!«
»Aber was ist denn so verkehrt daran, seinen Glauben zu bewahren?«
»Auch diese Antwort kennen Sie selbst! Döllinger ist heute praktisch vergessen, das Papsttum aber ist so stark wie lange nicht mehr!«
Dr. Albertz erhob sich mit einer heftigen Geste. Er lief im Zimmer auf und ab und blickte dabei zu Boden.
»Das Infame ist doch, dass man machtlos ist gegen ein System, dessen Grundlagen und Regeln man anerkennt. Wie soll man etwas gegen die Kirche unternehmen, wenn man denselben Glauben hat? Der Wunsch nach Reformen allein ist nicht radikal genug. Reformen bedeuten die Anerkennung eines Systems, das im Grunde in Ordnung ist und nur ein wenig modifiziert oder vielleicht optimiert zu werden braucht. Letztlich trägt jeder Gläubige, der Schweigende wie der Kritische, zur Bestätigung und Stärkung dieses Systems bei. Es wird irgendwann resistent gegen jede Art der Anfeindung, wie ein aggressiver Virus, verstehen Sie? Der Reformer glaubt an denselben Gott, sein Seelenheil ist in derselben festen Hand. Er kann sich also gar nicht so weit von dem Hergebrachten entfernen, wie es nötig wäre, um wirklich etwas zu ändern.
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