Die Aufrichtigen (German Edition)
Im schwachen Schein des Monitors las er die Handschrift des Chefs, vier große Buchstaben: SPQR.
Irgendwo hatte er das schon einmal gesehen! Eine ganz bekannte Buchstabenfolge. War das nicht eine Abkürzung für die römische Republik? Senatus populusque romanum – der Senat und das Volk Roms? Das Q sprach man wie O.
»Moment mal, das heißt doch: SPOR !«
Leo riss den Umschlag auf. Da war sie! Die alte Akte! Er hielt die Akte in den Händen!
Am Schreibtisch stellte er das Macbook vor sich und legte die Akte auf die Tastatur. Das Licht des Monitors fiel auf die Blätter, hell genug, um zu lesen. Aus dem Prozessregister ergab sich, dass Dr. Albertz für Professor Spohr gegen die Universität und das Erzbistum München und Freising geklagt hatte. Dahinter war ein handgeschriebener Brief. Die Tinte war fast verblichen und Leo konnte die altdeutsche, schnörkelige Handschrift nicht lesen. Er glaubte aber zu verstehen, dass der Professor ihn geschrieben hatte. Der Gruß hieß vermutlich ›Dein Ernst‹. Leo gab es auf, mehr zu entziffern und begann, die Akte chronologisch zu lesen.
Ganz hinten hing das Deckblatt eines Manuskripts mit dem Titel: ›Die Konstantinische Schenkung – von Lorenzo Valla bis Ignatz von Döllinger‹. Der Autor war Professor Dr. Ernst A. Spohr. Der Untertitel lautete: ›Macht korrumpiert – absolute Macht korrumpiert absolut. (Acton)‹. In der Handschrift des Chefs war notiert: ›Manuskript gemäß Vergleich vernichtet, 12.09.1980‹.
Es folgte ein Aktenvermerk über Lorenzo Valla, aus dem hervorging, dass er ein bedeutender Humanist der Renaissance gewesen war, der versiert und polemisch zugleich gegen die katholische Lehre seiner Zeit gewettert und deshalb seinen Lehrstuhl an der Universität Pavia verloren hatte. Zwar konnte er sein Leben vor der Inquisition retten, als Wissenschaftler aber wurde er nicht rehabilitiert. Am Ende seines Lebens berief ihn Papst Nikolaus V. als apostolischen Sekretär und Kanonikus nach Rom. Lorenzo Vallas wichtigstes Werk hieß ›De Donatione Constantini‹ — die konstantinische Schenkung, in dem er nachwies, dass es sich dabei um eine in der Mitte des 8. Jahrhunderts von Papst Stephan II. gefälschte Urkunde handelte.
»Blum, was machen Sie hier?«
Dr. Maximilian Albertz‘ Stimme donnerte durch die Dunkelheit. Leo erbleichte und schloss für eine Sekunde die Augen. Er klappte hastig sein Notebook zu und blieb regungslos sitzen, wie ein Kind, das sich schlafend stellt, wenn es von der Mutter beim Lesen unter der Bettdecke erwischt wird. Nach diesem Augenblick des Entsetzens erschien es Leo so offensichtlich, beinahe abgemacht, hier im Büro des Chefs ertappt zu werden. Dr. Albertz machte das Licht an und sah Leo böse an. Noch vor wenigen Stunden wäre er im Boden versunken, hätte Entschuldigungen oder Begründungen gestammelt. Jetzt aber hielt er dem Blick des Chefs stand, der plötzlich lächelte.
»Ich habe mich also doch nicht in Ihnen getäuscht, Blum!«
Leo verstand ihn sofort.
»Sie haben nicht damit gerechnet, dass der Safe besonders gesichert ist, nicht wahr?« Der Chef triumphierte. »Wenn er geöffnet wird, werde ich automatisch per SMS benachrichtigt. Ich habe mir diese Spielerei vor gar nicht allzu langer Zeit einbauen lassen.«
Leo sagte noch immer nichts. Er fühlte sich verletzt, er war nicht so wie Dr. Albertz.
»Nun, haben Sie Ihre Neugier bereits befriedigt? Sie haben eine Menge gelernt, Blum, warum waren Sie die ganze Zeit über so unsicher? Sie wären ein großartiger Anwalt, wenn Sie sich Ihrer Wirkung endlich bewusst würden.«
Der Chef kam heran und zog die Akte heraus, die zwischen Bildschirm und Tastatur eingeklemmt war.
»Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass es schneller geht, eine Akte von vorn nach hinten zu lesen?«
»Wenn ich verstehen will, wie eine Sache sich entwickelt hat, dann muss ich chronologisch vorgehen. Wer stets das Ergebnis vorweg nimmt, verliert den Blick für die Details.«
Das hatte er dem Chef schon immer einmal sagen wollen. Er war zufrieden mit der Festigkeit seiner Stimme.
»Weit sind Sie noch nicht gekommen.«
Dr. Albertz zog eine Augenbraue hoch.
»Worum ging es damals?«, fragte Leo ruhig.
Dr. Albertz ging mit der Akte um den großen Glasschreibtisch und ließ sich schwer auf einen der beiden Besucherstühle fallen.
»Die Sache war einer meiner ersten großen Fälle. Spohr war damals Professor für Kirchengeschichte an der theologischen Fakultät in München. Ich glaube,
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