Die Aufrichtigen (German Edition)
weiß nur, dass bei Dr. Albertz noch nie etwas aus reinem Zufall geschehen ist.«
Er holte sein Macbook aus der Tasche, klappte es auf und drückte eine Weile auf den Tasten herum.
»Ich werde mich am Besten in seinen Kalender einloggen. Vielleicht finden wir dort den Grund für seinen Aufenthalt in Mainz.«
Tatsächlich erhielt Leo noch immer ungehinderten Zugang zum Computersystem der Kanzlei. Er ließ sich Dr. Albertz‘ Kalender im Browser anzeigen. Dann blies er enttäuscht die Luft aus.
»Tja, damit kann man wahrscheinlich nichts anfangen. Für Montag steht nur: 19 h, DSM, Nass. Kap..«
Sophie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie hatte Leos Faible für Computer noch nie verstanden.
»Wir wissen also nicht einmal sicher, ob er in Mainz war?«
»Er hat Mainz gesagt, ganz bestimmt. Wie werde ich bestraft, wenn ich mich in seinen Account bei der Bahn hacke?«
»Keine Ahnung, ich lerne wie man Mörder fängt, keine Freaks. Dir ist doch sowieso nicht mehr zu helfen.«
Sophie lachte und trank den Milchkaffee aus, der inzwischen kalt geworden war. Wenige Augenblicke später sah Leo Dr. Albertz‘ Onlinekonto bei der Bahn auf seinem Bildschirm.
»Na, wer sagt‘s denn!«, rief er triumphierend, »Dr. Albertz hat ein Ticket für Montag nach Mainz gekauft.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte sie. »Willst du ihn fragen, was er am Tag vor dem Mord mit dem Professor in Mainz zu bereden hatte?«
Leo schüttelte den Kopf.
»Wir fahren hin, um das herauszufinden.«
Sophie lächelte. Sah das nicht tatsächlich nach einer Spur aus? Außerdem hatte der Kommissar ihr keine konkreten Aufgaben gegeben. Sie küsste Leo auf den Mund.
»Du willst also mal wieder Zug fahren?«
Mein Reich ist nicht von dieser Welt
(3) Jesus sprach: Wenn die, die euch führen, euch sagen: Seht, das Königreich ist im Himmel, so werden euch die Vögel des Himmels vorangehen; wenn sie euch sagen: es ist im Meer, so werden euch die Fische vorangehen. Aber das Königreich ist in eurem Innern, und es ist außerhalb von euch.
(16) Jesus sprach: Vielleicht denken die Menschen, dass ich gekommen bin, um Frieden auf die Welt zu bringen. Und sie wissen nicht, dass ich gekommen bin, Zwist auf die Welt zu bringen, Feuer, Schwert, Krieg.
(Aus dem Thomasevangelium, in den Büchern von Nag Hammadi)
War das der Aufruf zum Umsturz? War der Messias, der Erlöser, gekommen, das Elend der Menschen zu beseitigen. Die christliche Heilsbotschaft verbreitete sich wie ein Lauffeuer im römischen Reich. Doch die Bücher von Nag Hammadi wurden versteckt, um sie vor dem Feuer zu retten, nachdem von Kaiser Konstantin im Jahr 325 auf dem Konzil von Nicäa das nicäaische Glaubensbekenntnis durchgesetzt wurde.
Was, wenn die staatsfeindliche Haltung der Christen der Opportunität geopfert worden wäre? Was, wenn die apokryphen Evangelien beseitigt worden wären, um das System der Mächtigen nicht zu gefährden? Was, wenn die Auswahl der angepassten vier Evangelien im Buch der Bücher den Glauben an die Gleichheit und Gerechtigkeit in ein fernes Ziel verkehrt hätte, das nur im Jenseits zu erreichen ist? Was, wenn wirklich Maria Magdalena als Nachfolgerin Jesu‘ aus der Überlieferung getilgt und statt ihrer der Bischof von Rom als Erbe Petri vorgeschoben worden wäre? Was, wenn man die Botschaft des Revolutionärs aus Nazareth gefälscht hätte?
Nach dem Konzil galten bei den Christen alle Versuche, die Lebensumstände im Diesseits zu verbessern, als Sünde. Die Erlösung wurde auf das Leben nach dem Tod vertagt. Die demütige Duldung von Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Leid und Entsagung ist zur Zugangsbedingung des ewigen Lebens geworden. Es war der Drang nach Freiheit, der die Menschen in die Arme dieser Religion trieb. Doch die Kirche hat das Vertrauen der Gläubigen missbraucht, um mit Gewalt und Fälschung ein Regime der Unterdrückung zu errichten, das bis heute die Andersdenkenden auszurotten versucht. Kaiser Konstantin und seine Nachfolger haben nur die religiöse Gruppe bevorzugt, die bereit war, den Preis der Macht zu zahlen. Die katholische Kirche wurde auf den Thron des Gottesreiches gehoben, dafür hat sie den Umsturz ins Himmelreich gerückt.
E.A.S.
Gründonnerstag, 23 Uhr 12; der verbotene Schrank
Leo hatte sich nicht getraut, Sophie noch zu sich einzuladen. Das hätte zu eindeutig ausgesehen. Doch jetzt ärgerte er sich darüber, denn er hatte sie schon einmal gehen lassen und wollte sie nicht wieder verlieren. Im Fernsehen lief nur
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