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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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Mist, seit die amerikanische Krankenhausserie zu Ende war. Er stand vom Sofa auf und packte ein paar Sachen für morgen. Wie viel sollte er mitnehmen? Würden sie über Nacht bleiben, würden sie im selben Zimmer schlafen? Unsinn, warum sollte er sich einreden, überhaupt nicht aufgeregt zu sein? Die Wohnung schien ihn zu erdrücken. Er könnte aufräumen und die Tassen abspülen, die sich seit Tagen auf seinem Schreibtisch stapelten. Der Schreibtisch seines Großvaters, von dem er sich trotz allem nicht trennen konnte. Er könnte aber auch warten und sich nächste Woche endlich eine Spülmaschine kaufen. Außerdem hatte er Hunger und wollte sich nicht mit trüben Gedanken an seine Zukunft quälen. Was sollte nur aus ihm werden, jetzt, da er nicht mehr für Dr. Albertz arbeitete? Er zog seine Jacke an und hängte sich die Notebooktasche über die Schulter. Vielleicht würde er sich bei Starbucks mit einem Milchkaffee in der hintersten Ecke verkriechen oder in einem Fastfoodladen etwas essen. Für einen Burger mit Pommes braucht man nicht viele Worte.
    Die kühle Luft auf der Straße tat ihm gut. Er dachte an den Professor, an Julia und ihre kleine Schwester. Was wusste Dr. Albertz von alledem? Warum hatte der Professor sich mit ihm verabredet, so kurz vor seinem Tod, und warum war Dr. Albertz einfach nicht gekommen? Was hatte er überhaupt mit der ganzen Sache zu tun? Nur er selbst konnte diese Fragen beantworten. Leo lachte bitter. Was gab es jetzt noch für eine Chance, mit ihm zu sprechen? Leo war raus, er gehörte nicht mehr zur Familie, wie Dr. Albertz sich ausgedrückt hätte.
    Er vergrub die Hände in den Jackentaschen und spielte mit seinem Schlüsselbund. Stück für Stück ließ er durch die Finger gleiten und versuchte an der Form zu erraten, zu welcher Tür sie gehörten. Das lenkte ihn eine Weile ab. Dann spürte er den gezackten Bart mit der gespaltenen Spitze: der Kanzleischlüssel! Er blieb stehen. Wenn er Dr. Albertz schon nicht fragen konnte — in der Kanzlei würde er sicher eine Antwort finden! Irgendwo musste es eine Akte des Professors geben. Der Chef arbeitete niemals nachts, er würde also ungestört sein!
    Kurze Zeit später stand Leo mit klopfendem Herzen im Kanzleiarchiv. Wenn Frau Magdalener sich nicht irrte, und sie irrte sich niemals, dann gab es für den Professor keine laufende Sache. Wenn es wirklich einen alten Fall gab, dann würde er hier im Archiv die Spur finden. Er klappte sein Macbook auf, loggte sich ein und tippte ›Spohr‹ in die Suchmaske. Das System warf sofort einen Treffer aus. Ernst Adeodatus Spohr, 02.03.1980 – A/203. Ein über dreißig Jahre alter Vorgang! Das große A bedeutete, dass die Akte komplett archiviert worden war. Die Zahl danach war die Ablagenummer. Wenn der Chef die Handakten nicht an die Mandanten zurückgab, wie es eigentlich Vorschrift war, so handelte es sich entweder um einen Fall von besonderer Bedeutung oder es gab etwas zu vertuschen. Leo zog die erste Regalreihe des riesigen Schiebeschranks auf. Alle abgelegten Akten wurden automatisch mit einer Nummer versehen und fortlaufend in Kartons einsortiert. Er wurde schnell fündig, das System war unschlagbar. Doch der Karton mit der Nummer 203 enthielt nur ein paar lose Blätter. Keine Akte, kein Hinweis, nichts. Was, wenn die Sache fehlerhaft einsortiert worden war? Wie sollte er die Akte in all den Kartons finden? Ob man sie vernichtet hatte? Er zwang sich nachzudenken. War da nicht noch eine Möglichkeit? Hastig nahm er sein Macbook und lief damit in Dr. Albertz‘ Büro. Er wagte es nicht, Licht anzumachen, weil die Fenster auf die Straße zeigten. Statt dessen leuchtete er mit dem Monitor das Zimmer ab. Sein Blick fiel auf den alten Safe. Er kannte die Zahlenkombination genau, weil er dem Chef oft genug beim Öffnen der Panzertür über die Schulter geschaut hatte. Mit zitternden Fingern drehte er an dem Rädchen, horchte, drehte wieder und riss schließlich den schweren Griff herum. Die Tür öffnete sich!
    Das obere Fach des Safes war mit einer eigenen Tür verschlossen. In der Schublade darunter lag ein Packen mit Honorarvereinbarungen. Leo blätterte unentschlossen darin herum und legte sie zurück. Das letzte Fach war bis oben hin mit Papieren gefüllt, Jahresabschlüsse der Kanzlei und ein Aktendeckel, der mit ›Steuererklärung‹ überschrieben war. Die Versuchung war zu groß. Er nahm ihn heraus. Dabei bemerkte er einen weißen Umschlag, der unter dem Aktendeckel zum Vorschein kam.

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