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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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überliefert zu werden. Der Lügner stirbt und sollte schnell in Vergessenheit geraten.«
    »Er suchte also die wahre Botschaft Jesu‘, meinen Sie?«, fragte Leo begeistert.
    »Ja, so ähnlich sicherlich. Jedenfalls stellte er die Frage, ob es überhaupt möglich sei, diese Botschaft nach zweitausend Jahren kirchlicher Machtpolitik und Seelenkontrolle noch zu finden. Er forderte, den Wettbewerb der Weltanschauungen zu beenden. Seine letzte Konsequenz war das Leben ohne Religion. Ganz ohne Religion, verstehen Sie? Polemisch könnte man seine Aussagen damit zusammenfassen, dass es nicht wegen, sondern trotz der Kirche immer noch Werte gibt. Das Überleben von Werten, trotz Prägung der abendländischen Kultur durch das Christentum, sollten die Menschen als Beweis der eigenen Stärke nehmen, als Anlass zur Hoffnung auf ein besseres Leben ohne Religion.«
    »Aber das ist doch hochinteressant!«, rief Leo aus. »Welch außergewöhnlicher Mensch muss der Professor gewesen sein.
    »Hochinteressant? Es ist eine echte Gefahr, wenn solche Gedanken anhand historischer Fakten minutiös bewiesen werden und der Autor ein angesehener Experte für Kirchengeschichte an einer führenden theologischen Fakultät ist, in einem Erzbistum, wo praktisch jeder erzkonservative Kleriker schon seine Rolle gespielt hat, Faulhaber, Ratzinger, die großen Reaktionäre eben. Das ist purer Sprengstoff!«
    »Kam es deshalb zum Prozess?«
    »Das Übliche eben: die Antwort auf das Manuskript kam nicht von Spohrs Vertrautem, sondern direkt aus Rom von der Propaganda Fide. Haben Sie davon schon einmal gehört?«
    »Das ist doch der vatikanische Geheimdienst.«
    »Bravo, Blum, messerscharf erkannt! Spohr wurde nicht nur untersagt, das Manuskript zu veröffentlichen. Man verbot ihm auch, seine Anschauungen in Forschung und Lehre zu erwähnen. Er sollte sich unverzüglich in Rom einfinden, um vor irgendeiner päpstlichen Kommission seine Thesen zu widerrufen.«
    Der Chef hielt inne und griff mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel.
    »Hat er es getan?«
    Leos Herz klopfte.
    »Man muss wahrscheinlich wirklich Wissenschaftler sein, um sich einzubilden, solch eine Schrift könne innerhalb der Kirche ungestraft bleiben. Spohr kam damals mit dem Brief aus Rom direkt zu mir. Er war so aufgebracht, dass er keinen vernünftigen Satz sprechen konnte.«
    »Er hat also nicht widerrufen?«
    »Natürlich nicht. Er war trotzig wie ein kleines Kind und beharrte darauf, dass alle seine Aussagen auf historischen Fakten beruhten.«
    »Das war sicher ein Riesenskandal. Hat er so seine Professur verloren?«
    »Wo denken Sie hin?«, sagte Dr. Albertz und lächelte selbstgefällig. »Schließlich habe ich ihn vertreten! Zunächst wurde ihm wirklich die Lehrerlaubnis entzogen. Ich brauche ihnen nicht zu sagen, dass die weltanschaulichen Fakultäten da recht große Freiheit genießen. Dennoch sind wir gegen diese Maßnahme gerichtlich vorgegangen. Unsere Strategie war ebenso einfach wie genial. Da wir rechtlich nicht viel ausrichten konnten, bauten wir das Verfahren so auf, dass möglichst viele seiner Thesen durch das Gericht auf ihre Richtigkeit überprüft werden mussten. Wir gingen davon aus, dass das Erzbistum nur wenig Interesse daran haben konnte, eine gerichtliche Feststellung dieser unangenehmen Fakten zu riskieren. Die Taktik ging auf. Es wurde ein Vergleich geschlossen, der Spohr alle akademischen Würden beließ und ihm eine Abfindung dafür zusprach, sein Buch nicht zu veröffentlichen. Sie wurde direkt von der Propaganda Fide bezahlt, nachdem Spohr sein Manuskript vernichtet hatte. Ich denke, besser hätte es nicht laufen können.«
    »Der Professor hat sein Buch verkauft?«
    Leos Begeisterung war verflogen.
    »Eine halbe Million Mark ist eine Menge Geld für einen Professor.«
    Leo riss die Augen auf. »Eine halbe Million?«
    »Beruhigen Sie sich, Blum. Bei solch einem Betrag wäre jeder schwach geworden. Was hätten Sie an seiner Stelle getan? Thesen, sagte Spohr, Thesen könne er sich tausend neue machen, kein Verlag hätte ihm soviel Geld für sein Buch bezahlt.«
    Alles in Leo sträubte sich. Sollte er sich so getäuscht haben? Er hatte gehofft, mehr zu finden, hatte geglaubt, dass es einem Mann wie dem Professor zuallererst um die Wahrheit ging. Was würde Julia sagen, wenn sie davon erfuhr? Wie passte das zu dem Bild, das sie von ihrem Vater hatte? Sollte er das Gefälligkeitsgutachten über die Fragmente des Ammianus Marcellinus etwa auch für Geld

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