Die Aufrichtigen (German Edition)
in ununterbrochener Furcht.
Zum Teufel mit der katholischen Lehre! Was konnte ein Sakrament für eine Wirkung haben, das der Empfänger durch Betrug erlangt hatte? Aber waren nicht schon ganz andere Verbrecher wegen viel ärgerer Vergehen in den Genuss des Taufsakraments gekommen? Durch die Taufe sollte der Mensch rein gewaschen werden von allen vergangenen Sünden. Deswegen war es das Geschickteste, sich erst am Ende des Lebens taufen zu lassen, um damit ganz rein vor den Schöpfer zu treten. Kaiser Konstantin der Große war das beste Beispiel dafür. Jahrzehnte lang hatte er das römische Reich mit Angriffskriegen überzogen, um die Alleinherrschaft zu erzwingen. Für dieses Ziel opferte er alles und jeden und schreckte nicht einmal davor zurück, seine Gattin und den eigenen Sohn zu ermorden, die er für Anführer einer Palastrevolution hielt. Wie willkommen musste dem Kaiser der katholische Glaube erscheinen, der Zeit seines Lebens alle Untaten heiligte und ihn noch dazu am Ende seines frevelhaften Lebens von allem freisprach.
Doch es war nicht der Betrug und auch nicht das Wissen um die fürchterliche Farce einer Taufe, die den Professor letztlich davon abhielten, das eigene Seelenheil zu ergaunern. Es war auch nicht die Ehre als Wissenschaftler, die ihm einmal mehr bedeutet hatte, als das Leben seines Kindes. Was nützte diese Ehre auf dem Weg, der ihm bestimmt war?
Der Papst selbst war es gewesen. Der Papst hatte den Limbus abgeschafft! Er war zusammen mit einer internationalen Theologenkommission zu dem Ergebnis gekommen, dass die Seelen der ungetauft gestorbenen Kinder nicht in der Vorhölle gefangen seien. Es stehe mit dem universellen Heilsplan Gottes in Widerspruch, dass die schuldlos, allein mit dem Ärgernis der Erbsünde behafteten Ungetauften, nicht wenigstens Hoffnung haben sollten, dereinst doch errettet zu werden. Mit allem hatte der Professor gerechnet, mit allem hätte er sich abfinden können, aber nicht damit! Es gab genug absurde Dogmen, von der körperlichen Wiederauferstehung, von der Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut und von der Unfehlbarkeit des Papstes. Längst hatte der Professor aufgehört, über die geschichtliche Herkunft christlicher Riten zu schreiben, denn es ging hier nicht um Wahrheit. Allein das Mysterium interessierte, je irrwitziger desto besser.
Den Saum der Hölle abzuschaffen aber war unerträglich! Seine Frau war in dem Glauben gestorben, dass Mariechen sich dort befände, gefangen für alle Ewigkeit. Sie quälte sich mit der Frage, ob man vom Himmel aus den Saum der Hölle sehen könne. Wie sollte sie selbst an der ewigen Glückseligkeit teilhaben, wenn sie stets gewahr sein musste, bei einem sehnsüchtigen Blick zum Himmelsrand irgendwo ihr kleines Kindchen zu entdecken? Wenn der Professor ehrlich zu sich selbst war, so teilte er diese Furcht. Er hatte nichts erforschen können, was sie zerstreut hätte. Nur der Getaufte hatte Aussicht auf die selig machende Schau Gottes! Alle anderen waren verloren! Und nun hatte dieser Papst den Limbus einfach abgeschafft! Kann ein Papst die Hölle abschaffen? Und wenn nicht: kann er dann wenigstens die Vorhölle abschaffen? Gut, die Seelen mussten dort keine Martern ertragen. Waren die Dämonen der Hölle deswegen an diesem Ort nicht länger interessiert? Was musste der Papst den Höllenkreaturen geben, um ihnen die nutzlose Vorhölle abzuschwatzen? Aber weder die Theologenkommission noch der Papst wussten, wohin man all die im Limbus gefangenen Seelen brachte. Wie sollte man sich die Schließung vorstellen? Wie die eines Flüchtlingslagers? Wohin sollten denn die Seelen der Verstorbenen ausgewiesen werden? Zu dieser Nebenwirkung der Schließung gab es keinerlei Lehre der Offenbarung, sondern lediglich Gründe zur Hoffnung, dass Gott auch diese Kinder erretten werde, obwohl es unmöglich war, sie in den Glauben der Kirche und sichtbar in den Leib Christi aufzunehmen. Das alles hatte der Professor in einer Presseerklärung gelesen, die von der Kurie anlässlich der Abschaffung des Limbus‘ herausgegeben worden war. Mit der schieren Hoffnung im Gebet vermochte Professor Spohr sich nicht abzufinden. So viel Demut besaß er nicht. Wo also war Mariechen jetzt? Wenn der Papst kein Narr war, und es trotz allem auch für die schuldlos ungetauften Kinder einen Funken Hoffnung gab, am ewigen Heil teilzuhaben, so durfte der Professor sich nicht auf das Gebet verlassen. Er musste selbst hingehen und vor Gott aufklären, wie
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