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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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Frau wiedersehen, um sich mit ihr auszusöhnen. Er wollte sein weißes Haupt an ihrem welken Busen bergen und endlich weinen. Er wollte sie um Vergebung anflehen, um Vergebung für dieses schmähliche Leben mit ihm. Und noch etwas, etwas Furchtbareres: Er musste Abbitte leisten für seine tote Tochter! Abbitte bei ihr, seiner geliebten Frau, Abbitte bei ihm, den er schon beinahe ein Leben lang aus Zorn und Stolz verleugnete! Sich selbst musste er hingeben für sein unschuldiges Kind!
    Der Professor hielt inne, um nicht erneut zu stürzen. In einer Seitengasse verbarg er sich in der Dunkelheit eines Hauseingangs, um ein wenig zu verschnaufen. Sein Herz raste. Würde ihm noch genügend Zeit bleiben? Oder würde sein Schicksal vor der Zeit durch den Verfolger besiegelt? Da hörte er heftiges Atmen ganz in der Nähe, er presste sich an die Haustür. Einer bog um die Ecke, zögerte, ging an dem Hauseingang vorbei. Irgendwo schlug ein Fensterladen. Trotz der Dunkelheit erkannte der Professor den geduckten, lauernden Gang: sein Verfolger! Er ging vorüber! Welch armselige Hoffnung! Sollte er ihn wirklich nicht entdeckt haben? Die Schritte entfernten sich langsam. Der Professor hielt den Atem an, nichts mehr! War er stehen geblieben? Da, die Schritte, da waren sie wieder — schwer, schwerer, laut, lauter!
    »Oh mein Gott, er kommt zurück!«
    Ein Schatten fiel in den Hauseingang. Der Schreckenslaut erstarb in des Professors Kehle. Noch sah der Peiniger nicht in seine Richtung, noch nicht!
    »Dreh dich nicht um«, flehte der Professor insgeheim, »dreh dich nicht um, in drei Teufels Namen!«
    Tatsächlich schaute der Mann nur in die Gasse und fluchte.
    »Fluche du nur, Verfluchter! Mich umhüllt finstere Nacht!«
    Der Mann stampfte auf den Boden und rannte dann die Gasse entlang. Der Professor atmete auf.
    Der unangemeldete Besuch des öligen Mönchs kam für den Professor so überraschend, dass er nicht einmal daran denken konnte, das unlautere Angebot auszuschlagen. Alles schien in sich stimmig, auf groteske Weise konsequent. Über die Rücknahme des Interdikts, sagte der ölige Mönch, könne man durchaus sprechen, wenn der Professor seinerseits bereit sei, der Kurie eine kleine Gefälligkeit zu erweisen. Natürlich sah der Professor auf den ersten Blick, dass die Fragmente des Ammianus eine Fälschung waren. Er wisse nicht mit Sicherheit, sagte der Mönch, ob der heilige Vater von dieser Sache Kenntnis habe, schließlich sei er ja immer noch Wissenschaftler und würde sich mit der einen oder anderen Ungenauigkeit vielleicht nur schwer abfinden können. Andererseits sei der heilige Vater alt und niemand wisse, wie lange Gott ihn zu seinem Stellvertreter auserkoren habe. Es könne also durchaus sein, dass ein Nachfolger weniger zimperlich sei. Und schließlich könne nicht einmal ein heiliger Vater von allem wissen, was dem Glauben dient. Zimperlich, der ölige Mönch hatte wirklich zimperlich gesagt. Der Professor wollte seine Chance nutzen. Noch eine würde sich seinem zur Neige gehenden Leben sicher nicht bieten. Bereitwillig ließ er sich daher beruhigen, dass es für die Wirkung des neuen Taufsakramentes ganz unschädlich sei, wenn es durch einen Betrug erkauft würde. Zum einen finde dieses kleine Arrangement die volle Zustimmung der Kurie, weswegen man gar nicht von einem gewöhnlichen Betrug sprechen könne. Zum anderen aber sei es die gesicherte Lehre der heiligen katholischen Kirche, dass ein jedes Sakrament gelte und wirke, gleich ob es ein Unwürdiger gespendet, gleich ob es ein Unwürdiger empfangen habe. Das Sakrament der Taufe sei eine für den Menschen unerfindliche Gnade - und Gott allein obliegt es, gnädig zu sein.
    Der Professor zählte bis hundert, um sicher zu gehen, dass der Gefürchtete nicht doch noch zurückkäme. Erleichtert, fast euphorisch stahl er sich dann aus dem Hauseingang und setzte auf der Hauptstraße seinen Weg zum Bahnhof fort. Auf einmal schien der Nebel sich zu verlieren, die Straße belebte sich, dicht an dicht lagen grell erleuchtete Läden, Imbissbuden und Sex-Shops. Es tat so wohl, Menschen zu sehen, wähnte er sich doch vor Kurzem noch dem Tode geweiht.
    Heute, nur wenige Monate danach, konnte der Professor sich nicht mehr erklären, wie er sich auf dieses unwürdige Geschäft hatte einlassen können. Der Propaganda Fide von seinem Sinneswandel zu erzählen allerdings und damit zu drohen, das Gutachten öffentlich zu widerrufen, war ein schwerer Fehler gewesen. Seither lebte er

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