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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
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Alters. Der Taxistand am Theater war leer. Unmöglich hier zu stehen und zu warten, bis das Nächste kommt. Er musste zu Fuß zum Bahnhof fliehen.
    Angst zu sterben hatte der Professor nicht. Seine Zeit war ohnehin abgelaufen. Doch er fürchtete sich davor, denen in die Hände zu fallen. Wer konnte schon wissen, wozu sie fähig waren? Außerdem hatte er noch ein paar wenige Dinge zu regeln, musste Nachrichten hinterlassen für die, die um ihn trauern würden. Er dachte an Julia, sein Herz krampfte sich zusammen. Sie durfte ihn nicht so in Erinnerung behalten. Weiß Gott, er war nie ein liebevoller Vater gewesen! Nun hatte er mit dem falschen Gutachten auch noch ein allzu schweres Erbe hinterlassen! Wie sollte Julia ihren Platz behaupten, wenn die Sache ans Licht käme? Dabei wünschte er sich nichts so sehr, als dass sie um ihn trauerte. Gerade sie. Es war hoffnungslos.
    Er war außer Atem. Sein schwaches Fleisch verlangte nach Rast, die Beine schmerzten, die Lunge brannte. Dennoch gestattete er sich keine Ruhe, weil er wußte, dass der Verfolger ihm auf den Fersen war. Was machte es aus, dem Körper mehr abzuverlangen, als er zu leisten im Stande war? Bald würde er die nutzlose Hülle ohnehin abgestreift haben. Bald würde er sich selbst überzeugen können. Nach wenigen Schritten versagten seine Beine. Er fiel auf das Pflaster. Die Straße war finster, Nebel umhüllte die Laternen, nahm ihrem Licht wie ein Schleier die Kraft. Doch der Professor ließ sich nicht täuschen. Da kam er schon, der Grausame, der sich vergeblich mühte, im Schutz der Häuserzeilen nicht entdeckt zu werden. Vor ihm konnte er sich nicht verbergen. Er sah ihn so klar wie den Tod, den er vor Augen hatte. Noch war der Abstand groß, noch waren einige Passanten unterwegs, noch konnte er ihm nichts anhaben. Vor ihm aber lagen die dunklen Gassen, die abgelegenen Straßen des Bahnhofsviertels, wo es den einen nicht schert, was dem anderen geschieht. Dort war er in höchster Gefahr. Dort durften seine Beine nicht erneut den Dienst versagen, dort musste sein widerwärtiges Fleisch gehorchen.
    Von hinten griffen zwei starke Arme nach ihm. Er fuhr zusammen. Das Verderben vor sich wähnend, hatte er die Gefahr im Rücken nicht bedacht.
    »Um Gottes Willen, nein!«, schrie er.
    »Was ist mit Ihnen, haben Sie sich verletzt? Soll ich einen Arzt rufen?«
    Die Stimme des jungen Mannes mit dem südländischen Akzent klang warm und beruhigend. Der Professor schöpfte Hoffnung.
    »Sie gehören gar nicht zu denen, nicht wahr?«
    »Was meinen Sie?«, fragte der junge Mann überrascht. »Zu wem soll ich nicht gehören?«
    »Ist gut, ist alles gut, danke, helfen Sie mir, es ist alles gut!«
    Er raffte sich mit Hilfe des Mannes auf.
    »Da hinten kommt einer, der mich in Ruhe lassen soll. Sagen Sie ihm das, wenn Sie mir helfen wollen. Aber nehmen Sie sich in Acht!«
    Er zeigte mit dem Finger die Straße hinunter. Doch da war keiner zu sehen. Der Professor machte sich los.
    »Spinner«, hörte er hinter sich sagen.
    Die Kraft, hierher zu kommen, um Pater Donatus sein Abschiedsgeschenk zu geben, hatte er erst gefunden, nachdem er den Brief seiner Frau noch einmal gelesen hatte. Viele Jahre hatte er das nicht gewagt, weil er fürchtete, dem bitteren Vorwurf nicht standhalten zu können. Doch er fand keinen Vorwurf in dem Brief, nur die Wärme und das Mitleid seiner geliebten Frau. Sie musste viel mehr gesehen haben als er selbst. Niemals wollte er Gott und die Religion verleugnen. Warum hatte er erst jetzt verstanden, dass er sein Leben lang auf der Suche war, auf der Suche nach jener wahren Botschaft des Heils und der Liebe, die in zweitausend Jahren Kirchengeschichte abhanden gekommen war. Das einzusehen, tröstete ihn, und er empfand beinahe etwas wie Dankbarkeit, weil er ohne die äußerste Gefahr vielleicht niemals zu dieser Erkenntnis gelangt wäre. Es war schrecklich, wie klar die irrsinnige Furcht seine Gedanken machte. Seine Miene verfinsterte sich, denn da war noch etwas: das Gefühl des Scheiterns. Die Suche nach der wahren Botschaft war vergeblich gewesen. Er hatte nichts gefunden, die wahre Botschaft nicht und auch sonst nichts.
    Ein Geräusch ließ ihn zusammenfahren. Er lauschte, wagte jedoch nicht, sich umzudrehen. Vielleicht war es dem jungen Mann gelungen, den Verfolger aufzuhalten, vielleicht war er entkommen, vielleicht ahnte er nicht einmal, welch verborgenen Weg er zur Flucht eingeschlagen hatte – vielleicht aber war er ganz in der Nähe!

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