Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Bergh
Vom Netzwerk:
Wahrscheinlich beobachtete er ihn gerade jetzt, kniff die grausamen Augen zusammen und trug irgend etwas in den groben Händen, womit er ihm Schmerzen bereiten wollte. Der Professor ging weiter, es blieb nicht viel Zeit, diesen Gedanken, diesen letzten Gedanken zu Ende zu führen.
    Die Suche hatte sein Leben zu einer Flucht werden lassen, zur Flucht vor sich selbst. Viel zu früh war er falschen Spuren gefolgt, hatte die Fährte verloren und sich in die Irre führen lassen. Viel zu früh hatte er Schlüsse gezogen, ohne genug zu wissen. Wer Gott flieht, kann ihn nicht finden, und wer die Verfälscher der Botschaft bekriegt, sieht die verlorene Botschaft nicht mehr. Er hatte sein Leben weggeworfen! Das Wahre ist doch nicht das Gegenteil des Falschen, und wer weiß, wie es nicht gewesen ist, weiß noch lange nicht, wie es war. Seine Zeit war zur Neige gegangen, für ihn blieb nichts mehr, keine Hoffnung, kein Grund, nur noch die Schmach, den Irrtum zu bekennen, die Verfehlung einzugestehen. Dabei war die Häme der anderen nicht das, was ihn schreckte. Es war die Abwesenheit von Wahrheit in seinem Leben, dass er nicht mehr zurück konnte, um es besser zu machen. Sein Scheitern spielte den Fälschern in die Hände. Sein Werk der Entlarvung war zunichte, über Jahrzehnte würde keiner mehr wagen, seine Forschung weiterzuführen. Das würde die anderen, die vielleicht wie er auf dem Weg waren, um ein Menschenleben zurückwerfen. Schrecklich, wenn man nichts hat als den eigenen Geist. Jene ersetzen den einen durch den nächsten. Er hatte nur sich selbst. Diesen letzten Triumph, das hatte sich der Professor vorgenommen, diesen letzten Triumph wollte er vereiteln, damit ein anderer nahtlos seine Arbeit fortführen und eine bessere Richtung einschlagen konnte. Seine Sicht auf Gott war eine Fehleinschätzung, nur das Ergebnis enttäuschter Sehnsucht. Ein anderer, ein wirklich Fernstehender, könnte das Ziel durchaus erreichen.
    Mit dem verkauften Gutachten über die Fragmente des Ammianus Marcellinus hatte der Professor seine Daseinsberechtigung als Wissenschaftler preisgegeben. Die Arbeit der letzten Jahrzehnte würde an diesem einen, falschen Zeugnis gemessen. Seit wann darf ein Fälscher Fälscher entlarven? Es durfte also niemals ans Licht kommen, warum er das falsche Gutachten gefertigt, warum er das falsche Zeugnis abgelegt hatte. Niemand wußte, warum er mit der Propaganda Fide ins Geschäft gekommen war, niemand außer er selbst und dieser ölige Mönch aus Rom.
    Der Professor hatte während der Weihnachtsfeiertage den Entschluss gefasst, an die Rota Romana, das oberste Gericht des Vatikans zu schreiben, um die Rücknahme des Interdikts zu erbitten. Schließlich war die Exkommunikation der Grund für all sein Unglück. Mit dem Bannspruch starb Marie, seine ungetaufte Tochter, und seine Frau verweigerte deswegen jede Behandlung ihres Brustkrebsleidens. Sie wollte für ihren Mann sterben, um möglichst nahe bei Gott für seine Seele zu beten. Und sie musste sterben, um nach Mariechen sehen zu können, die als ungetauftes Kind im Limbus, dem Vorhof der Hölle, keinen Anteil an der ewigen Herrlichkeit Gottes haben konnte. Niemand vermochte, sie von diesem katholischen Aberglauben abzubringen, am wenigsten der Professor selbst.
    Viele Jahre genügte es ihm, die Willkür des Kirchengerichts, den Verrat des gerichtlichen Vergleichs für sein Schicksal verantwortlich zu machen. Er hielt sich selbst für den Betrogenen. Später betäubte ihn die Arbeit. Erst mit dem Alter wurde ihm die selbstgewählte Einsamkeit unerträglich, es gelang nicht mehr, sich der peinigenden Erkenntnis zu verschließen: Er selbst hatte alles zu verantworten! Dies lastete so schwer auf ihm, dass es Monate dauerte, bis er die ganze Tragweite an sich heranlassen konnte. An den Weihnachtsfeiertagen überwältigte ihn die Melancholie. Er badete sentimental in der Erinnerung an jenes erste Weihnachtsfest nach dem Tod seiner Frau, Julias trostlose Tränen. Er gab seinem Sehnen nach und schrieb den Brief an das Kirchengericht. Dabei log er sich vor, dass es nur konsequent sei, die ungerechtfertigte Exkommunikation zurückzunehmen. Sogar jetzt noch, nachdem er bereits mit seinem verunstalteten Leben abgeschlossen hatte und das Unausweichliche nahe vor sich sah, fiel es ihm schwer, sein geheimes Verlangen beim Namen zu nennen. Es war so schwer, es einfach auszusprechen, das Selbstbild und die Last der eigenen Erwartungen abzustreifen. Er wollte seine geliebte

Weitere Kostenlose Bücher