Die Aufsteigerin
geklungen! In einem langen blauen Frisiermantel und mit Lockenwicklern im Haar kam er ins Zimmer gestürmt und sang dabei noch immer in den höchsten Tönen.
»Wach auf, Cathy. Komm und iss etwas«, befahl er. »Ich hab uns mein Lieblingsfrühstück gemacht. Geräucherten Lachs mit Frischkäse auf Toast. Happy Harold wird Theater machen, wenn er sieht, dass alles aufgegessen ist. Aber scheiß drauf, was, Mädchen? Das Leben gehört den Lebendigen, wie ein Freund von mir zu sagen pflegte.« Sein Gesicht verdüsterte sich, und er betrachtete das Mädchen im Bett. Dann fügte er hinzu: »Das war natürlich, bevor er starb. Hat sich ‘ne Überdosis verpasst
und alles. Dummer Kerl. Das Leben kann verdammt beschissen sein, ich weiß, aber jedes Leben ist doch wohl besser als gar kein Leben, oder was meinst du?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er einen großen Frotteebademantel aufs Bett und stolzierte aus dem Zimmer. Cathy wickelte sich in den duftenden Stoff und folgte ihm. Sie hatte inzwischen festgestellt, dass vieles, was er sagte, keiner Antwort bedurfte.
In der Küche betrachtete sie interessiert den Teller, der vor ihr stand. Da gab es tatsächlich rosa Räucherlachsscheiben und einen Berg Frischkäse. Dazu hatte er ihr aber auch Rührei gemacht und dick mit Butter bestrichene Scheiben knusprig braunen Toast serviert. Ausgehungert machte sich Cathy über das üppige Frühstück her. Irgendwann spürte sie eine große Hand auf ihrem Unterarm und musste grinsen, als Desrae sagte: »Um Gottes willen, Mädchen, es will dir doch niemand dein Frühstück wegnehmen. Also entspann dich und iss langsam.«
Cathy aß langsamer und beobachtete Desrae, der an seiner winzigen Portion knabberte und sich dann geziert mit einer Serviette den Mund abtupfte. Sie schämte sich, weil sie ihr Frühstück so gierig hinuntergeschlungen hatte.
»Trink deinen Tee, Süße, ich hab noch keinen Zucker reingetan. Das bleibt dir überlassen. Und wo das herkam, was auf dem Tisch steht, wartet noch eine ganze Menge mehr. Also iss verdammt nochmal langsamer. Sonst kriegst du noch Verstopfung.«
Aber Cathy war fertig und sah sich in der Küche um.
Wie die übrige Wohnung war sie sauber und modern. Sogar die Regale waren sorgfältig gestrichen. In Cathys kurzem Leben hatten Regale bisher immer aus nacktem Holz bestanden und waren schmutzverkrustet gewesen. Ihr wurde klar, dass sie eine Menge zu lernen hatte, wenn sie die Arbeit als Dienstmädchen und Zofe tadellos verrichten wollte. Madges schludrige Art war hier bestimmt nicht angesagt. Desrae grinste, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
»Sieht hübsch aus, nicht wahr? Die Wände hab ich höchstpersönlich gestrichen. Obwohl es mir nicht steht, mag ich Gelb, denn es ist eine sonnige, freundliche Farbe. Ich mein, sie verträgt sich gar nicht mit meinem Teint. Aber da pfeif ich drauf! Ich sitz gerne hier und futtere, weil ich dabei immer gute Laune krieg. Weißt du, Farben, von denen du umgeben bist, haben große Bedeutung. Wenn’s irgendwie geht, such ich mir fröhliche Farben aus. Rosa Töne, gelbe, blaue - na ja, hellblaue natürlich - und grüne. Grün ist eine sehr entspannende Farbe. Beruhigend. Wirst du alles von mir lernen, Liebes. Wenn ich fertig bin mit dir, Süße, dann kannst du als Zofe bei Danny la Rue anfangen.«
»Du hast das immer noch im Kopf?« Cathy klang zaghaft. Je länger sie mit dieser bizarren Person zusammen war, umso größer wurde ihr Wunsch, bei ihr zu bleiben, obwohl sie sich absolut nicht erklären konnte, warum sie so empfand. In Wirklichkeit hätte sie sich doch schrecklich vor ihm fürchten müssen. Ein Mann, ein erwachsener Mann, der Frauenkleider trug und sich fraulicher verhielt, als Cathy je erlebt hatte.
Ja, sie hatte schon von Menschen wie ihm gehört: Nicht nur Rosettenkrauler, Spinatstecher oder Bratengabel wurden die Homosexuellen im East End genannt, sondern es gab noch viel schlimmere Ausdrücke für sie, und behandelt wurden sie mit größter Verachtung. Nicht viele von ihnen hätten sich getraut, voll aufgerüscht die Straßen in Bethnal Green entlangzugehen, wenngleich einige es wagten, am Hafen anschaffen zu gehen. Schwule Männer, die auch wie Männer aussahen, wurden gerade noch toleriert, behielten aber ihre sexuellen Vorlieben möglichst für sich.
Nein, Cathy hatte natürlich schon von Schwulen gehört, aber Desrae war der erste schwule Transvestit, den sie kennenlernte, und mit Erstaunen stellte sie fest, was für ein netter
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