Die Aufsteigerin
Der Abschaum wird über dich herfallen, sobald man dich sieht, verstehst du? Erstmal versteckst du dich eine Zeit lang hier, und in ein paar Wochen halten wir wieder Kriegsrat, ja?«
Cathy nickte dankbar. »Ich kann dir gar nicht genug danken.«
Desrae gluckste fröhlich. »Warte ab, bis du eine Weile meine Zofe gespielt hast. Kann sein, dass du deine Meinung ganz schnell änderst. Jetzt stecken wir dich aber ins Bett, und morgen reden wir weiter, hm? Du siehst nämlich mächtig abgewrackt aus.«
Zwanzig Minuten später lag Cathy fest zugedeckt in einem kleinen Bett in Desraes Ankleidezimmer. Wie die ganze Wohnung war es übertrieben gestaltet, übertrieben feminin und so übertrieben parfümiert, dass man kaum Luft bekam. Aber Cathy war begeistert. Es war das schönste Zimmer, in dem sie je geschlafen hatte.
Als Desrae sich abschminkte und das Haar bürstete, fragte er sich, was ihn bewogen haben mochte, ein kleines Mädchen bei sich aufzunehmen. Rief es die Erinnerung daran wach, wie er als Teenager vor so vielen Jahren ins West End gekommen war? Oder war es das Bedürfnis nach Gesellschaft, ein Bedürfnis, das im Laufe der Jahre immer stärker wurde?
Was auch immer es sein mochte, jedenfalls sollte das Mädchen bleiben, so lange es wollte, und Desrae hoffte, dass es für lange, lange Zeit sein möge. In ihrer Art und ihrer Haltung hatte Cathy etwas an sich, das einer Sehnsucht entgegenkam, die er in sich entdeckte.
Sie war verletzlich, aber sie bewies auch Mumm. Sie war schlimm durch die Mangel gedreht worden, besaß aber immer noch die Fähigkeit, Vertrauen zu schenken. Dieses Vertrauen wollte er nicht missbrauchen. Schon jetzt empfand er eine innige Zuneigung zu ihr, liebte alles an ihr, von den großen blauen Augen bis zu den winzigen anmutigen Händen.
Er hoffte nur, dass sich kein Widerwille in ihr regte, wenn sie erst einmal feststellte, was zu dem angebotenen Job gehörte.
Seufzend verteilte er Coldcream auf Gesicht und Hals, schenkte seinem Spiegelbild noch ein Lächeln und einen letzten Kuss mit spitzen Lippen und sagte dann: »Du siehst verdammt nicht übel aus, mein Mädchen, obwohl du doch langsam auf die dreißig zugehst.« Desrae - Desmond Raymond - Smith war fünfunddreißig, aber das verriet er nicht einmal sich selbst.
Schließlich lagen sie beide im Bett, froh in der Gewissheit, dass der andere ganz nahe war.
Als Desrae fast eingeschlafen war, wurde die Schlafzimmertür geöffnet, und Cathy schlüpfte in sein Zimmer. Sie trug das übergroße Nachthemd, das er ihr geliehen hatte.
»Was ist denn los, Liebes? Alles in Ordnung?«
Sie kam an sein Bett, schlug die Decke zurück und kletterte zu ihrem neuen Freund. »Ich hab mich da drüben gefürchtet, so ganz allein.« Ihre Stimme war winzig.
Desrae schmunzelte. »Schlaf jetzt, Süße. Hier tut dir niemand was. Dass du bei mir sicher bist, hab ich dir vorhin schon gesagt, und Desrae sagt nur was, wenn es die Wahrheit ist, okay?«
Cathy nickte. Fünf Minuten später verriet ihr leises Atmen, dass sie tatsächlich schon schlief. Als er auf diesen Ton lauschte, staunte er über einen Gott, der sogar die Gebete eines homosexuellen Transvestiten erhörte. Er hatte sich danach gesehnt, jemanden in seinem Leben zu haben, und in Gestalt der kleinen Cathy Connor war diese Sehnsucht wahr geworden. Er fragte sich, ob ihm vielleicht zu viel des Guten beschieden war, aber
dann verscheuchte er den Gedanken und zog stattdessen die Bettdecke über die Schultern des Mädchens und schloss die Augen. Sie schliefen beieinander wie die Babys und rührten sich nicht bis zum Morgen.
Kapitel sechzehn
Cathy erwachte und hörte Geschirrklappern und Radiomusik. Die Geräusche waren ihr fremd, und sekundenlang fragte sie sich, wo sie sein mochte. Dann öffnete sie die Augen und sah, dass fahler Wintersonnenschein durch die schweren rosa Vorhänge ins Zimmer fiel. Die Ereignisse des vorangegangenen Abends fielen ihr langsam wieder ein. Schnell schloss sie die Augen, um den Mann zu vergessen, die Seitengasse und den widerlichen Gestank.
Als sie sich jedoch an die Mannfrau mit Namen Desrae erinnerte, musste sie lächeln und wurde von einem intensiven Glücksgefühl erfasst. Trotz all der schrecklichen Dinge, die ihr während der letzten Wochen zugestoßen waren, war sie überzeugt, der Person trauen zu können, die sie gerettet hatte.
Sie hörte, wie er mit zarter Stimme zu den Monkees trällerte, und musste schmunzeln. Last Train to Clarksville hatte so noch nie
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