Die Aufsteigerin
Schwuchtel. Du würdest das Augenlicht deiner Mutter doch für ein paar Pfund verscherbeln, und sie würde mit deinem dasselbe tun. Also quatsch keinen Scheiß, sondern hör mir zu. Bis jetzt weiß Joey von nichts, aber wenn ich erfahre, dass irgendwo auch nur irgendwas über die Angelegenheiten meiner Nichte getratscht worden ist, dann mach ihr dir so viel Ärger, dass du dir wünschst, deine Mutter hätte für deinen Erzeuger niemals die Beine breit gemacht. Kannst du mir folgen?«
»Ja … Hör mal, Desrae, wenn du sagst, sie ist deine Nichte, dann ist sie deine Nichte. Sie mag meinetwegen auch deine Tochter sein, solange ich keinen Besuch von Mr. Pasquale kriege.«
Desrae lachte entzückt. »Tochter wäre selbst von mir ein wenig viel verlangt, mein Bester. Nichte reicht völlig. Und erwähne sie mal hier und da, okay? Das wüsste ich zu schätzen. Vielleicht bring ich sie mal auf einen kleinen Plausch mit hierher.«
Tony schluckte schwer. »Deine Nichte wird mir stets willkommen sein, ebenso wie du.«
Desrae stand auf und sah auf den kleineren Mann herab.
»Schiss, nicht wahr? Du hast so viel Schiss, dass du mir den Schwanz lutschen würdest, wenn ich nett darum bitte, oder?«
Tony war bestürzt. Desrae war zu allem fähig. Er galt als ebenso unerbittlich wie sein Boyfriend. Niemand, der sich je mit Desrae angelegt hatte, war heil davongekommen. Im Unterschied zu vielen Schwulen in Soho zählte dieser Mann ganz gewiss nicht zu den Opferlämmern. Trotz seiner mädchenhaften Stimme und seiner Manierismen konnte er zuschlagen wie ein Schauermann und scheute sich nicht, zum Messer zu greifen. Tony war geliefert und wusste das sehr wohl. Er wusste auch, dass er gehorchen musste, wenn Desrae darauf bestand, dass ihm der Schwanz gelutscht wurde.
Desrae lachte. »Keine Sorge, ich bin sehr wählerisch, was das Ficken betrifft. War schon immer so. Und du, Kumpel, pass nächstens besser auf. Du hast die falsche Person abgezockt. Hast wohl kein Händchen mehr dafür, Alterchen.«
Als er in seinen schwarzen Stöckelschuhen aus dem Kaffeehaus stakte, stieß Tony Gosa einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Er hätte sich denken müssen, dass das kleine Luder Ärger bringen würde. Sah man doch schon daran, wie sie wieder aufgetaucht und ihr Geld verlangt hatte.
Wenn sie unter dem Schutz von Desrae und Pasquale stand, konnte sie sich jedenfalls glücklich preisen. Tony hoffte nur, dass sie ihm nie wieder unter die Augen kommen würde.
Desrae machte seine Runden durch Soho und wurde überall fürstlich begrüßt und empfangen. Auf dem Weg durch die Marktgassen winkte er Huren wie Rausschmeißern huldvoll zu und begrüßte sie mit seiner hohen Stimme und dem gehauchten, übertrieben femininen Lachen.
»Hab meine Nichte bei mir einquartiert. Wartet nur, bis ihr sie kennenlernt. Ist ein ganz entzückendes Geschöpf.«
Alle taten so, als freuten sie sich mit ihm, und winkten ihm fröhlich zu.
Desrae wusste ganz genau, warum er diese Geschichte erzählte. War Cathy einmal als seine Nichte akzeptiert, wie unglaubwürdig es auch klingen mochte, würde sie in der Vorstellung aller auch tatsächlich zu seiner Verwandten werden. Sämtliche Fragen, die sie betrafen, würden auf eine Mauer des Schweigens prallen, und eben das bezweckte er.
Er liebte es, sich um andere Menschen zu kümmern, und jetzt hatte er eine Person gefunden, die er umsorgen konnte und die bisher weder mit seinem Ruf noch mit seinem Lebensstil vertraut war. Bevor Cathy darüber mehr herausfand, wollte er unbedingt sicher sein, dass sie ihn bereits um seiner selbst willen liebte.
Als er mit den fünfzig Pfund in seiner Handtasche und Cathys Maßen im Kopf der Oxford Street zustrebte, kam ihm ein amüsanter Gedanke. Er würde sie anziehen wie eine kleine Königin. Sie würde die kleine Prinzessin der großen Queen Desrae sein!
Er musste laut lachen.
Was Joey wohl sagen würde, wenn er sie zu Gesicht bekam? Desrae hatte keinen Schimmer, aber wie er Joey kannte, würde der kaum was sagen. Was einen gewichtigen Teil seiner Anziehungskraft ausmachte. Joey vertraute ihm blind. Sie vertrauten einander. Niemand hatte je ahnen können, wie intensiv ihre Beziehung tatsächlich war, und das war ihnen beiden nur recht.
Desraes Blick verschleierte sich, als er an sein erstes Zusammentreffen mit Joey Pasquale dachte. Seiner Überzeugung nach hatte das Schicksal dabei die Hand im Spiel gehabt.
An einem kalten regnerischen Abend vor fünfzehn Jahren hatte
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