Die Aufsteigerin
erwachsene Männer, nicht die mädchenhaften Jungs, deretwegen so viele Männer nach Soho kamen. Er besuchte Desrae nun schon seit fast zwölf Jahren, und sie schrieben sich sogar gegenseitig Weihnachtskarten.
Sie waren Freunde und Vertraute, und, wichtiger noch, sie waren Männer, die gern lachten und die Geselligkeit liebten. Sie hatten sich bestens arrangiert.
Zwei Minuten später führte Cathy ihn durch die Wohnung und in Desraes rosa und goldenes Schlafzimmer. Sie schloss die Tür fest hinter sich, ging zurück ins Wohnzimmer und räumte das benutzte Glas weg. Dienstmädchen und Zofe zu sein war der leichteste Job der Welt, und in dem halben Jahr bei Desrae hatte sie eine Menge gelernt. Wie zum Beispiel: Besprich niemals etwas Persönliches mit einem Freier. Und sprich sie nie mit ihrem Vornamen an, es sei denn, sie haben darum gebeten. Maße dir niemals etwas an, besonders nicht bei älteren Männern. Und lasse niemals eine Bemerkung darüber fallen, weswegen sie gekommen sind.
Die Freier wurden ausnahmslos wie geschätzte Gäste und nicht wie zahlende Kunden behandelt. Cathy nahm das Bargeld in Empfang, das sie Vergütung zu nennen hatte. Desrae selbst nahm die Schecks, mit denen aber ausschließlich Stammkunden bezahlen durften. Seine Verbindung mit Joey Pasquale machte es möglich, die Schecks über einen von dessen
Läden in Soho laufen zu lassen, so dass Desraes Name nirgendwo erschien.
Die Freier konnten ihren Buchhaltern die Scheckbücher unbeschwert in die Hand drücken, ohne fürchten zu müssen, dass jemand spitzbekam, was sie sich wirklich gekauft hatten.
Cathy hörte herzliches Lachen aus dem Schlafzimmer und schmunzelte. Desrae war ein echter Profi. Wenn nur ihre eigene Mutter genug Verstand gehabt hätte, ihren Job als Geschäft zu sehen.
Sie beobachtete durchs Fenster das Leben und Treiben draußen auf der Straße. Die schwache Aprilsonne ließ die Gegend freundlich erscheinen, aber bei Nacht liebte Cathy Soho am meisten. Dann war es so bunt und so lebendig, so voller Musik und Lachen. Sie hatte es natürlich fast nur von der Wohnung aus erlebt. Ihr erster Ausflug auf eigene Faust war nicht sonderlich erfolgreich gewesen, und sie wusste, dass sie noch viel zu lernen hatte.
Sogar die Pflicht, Desraes Wäsche zu machen, hatte ihr die Augen geöffnet, denn jedes Stück wurde ohne Rücksicht auf Kosten oder Zeitaufwand einzeln mit der Hand gewaschen.
»Man bekommt, wofür man bezahlt«, das war ein Lieblingsspruch von Desrae, und Cathy wurde die Wahrheit dieses Spruchs jeden Tag aufs Neue bestätigt. Ihre eigenen Kleidungsstücke waren sehr schön. Desrae sorgte dafür, dass sie immer so hübsch angezogen war wie jede beliebige junge Dame aus bestem Hause. Er hatte seine Freude daran, dass sie gut aussah, und bewunderte sie immer wieder, wodurch sie einen Gutteil dringend benötigter Selbstsicherheit zurückgewonnen hatte. Inzwischen fühlte sie sich stark genug, neue Wagnisse anzugehen.
Sie musste zurück ins East End, um herauszufinden, was mit ihrer Mutter und mit Eamonn geschehen war.
Als sie sich im Spiegel über dem Kamin betrachtete, war sie sehr zufrieden mit ihrem Anblick. An allen wichtigen Stellen hatte sie weibliche Rundungen bekommen, und sie sah schon
aus wie eine junge Frau von zwanzig und nicht mehr wie ein vierzehnjähriges Mädchen. Desrae hatte ihr den Umgang mit Kosmetika beigebracht und sie gelehrt, das Beste aus sich zu machen. Das hatte sich unzweifelhaft ausgezahlt. Wann immer sie die Wohnung verließ, wurde sie angemacht, was ja durchaus schmeichelhaft war. Aber sie hätte nicht im Traum daran gedacht, sich auf Angebote dieser Art einzulassen.
Die Zuhälter wussten alle, dass sie zu Desrae gehörte, und behandelten sie deswegen mit großem Respekt. Cathy war klug genug, zu wissen, dass sie auf sich allein gestellt in Soho keine fünf Minuten bestehen könnte und dass Desrae und Joey ihr die Eintrittskarte in das gute Leben boten, das sie inzwischen führte. Dafür liebte Cathy ihren Desrae über alle Maßen, und zwar für seine Freundlichkeit und deswegen, weil sie spürte, dass er dasselbe Bedürfnis nach Liebe empfand wie sie.
Sie wusste um Desraes Befürchtung, dass sie der Verlockung anheimfallen würde, dorthin zurückzukehren, wenn sie erst einmal wieder im East End gewesen war. Die Menschen, die sie dort kannte, das Leben, das sie dort geführt hatte, könnten sie von neuem in Beschlag nehmen. Cathy wusste, dass er sich irrte, konnte aber Desrae nicht
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