Die Aufsteigerin
beeindruckt hatte. Er konnte nur hoffen, es so gut gemacht zu haben, dass ihm eine zweite Chance zugestanden wurde.
Als er aus dem Gebäude humpelte, sah ihm Jake Jacobs misstrauisch nach. Sogar er musste den jungen Scheißer bewundern, obwohl er ihn noch nie hatte leiden können. Eamonn hatte gnadenlose Prügel eingesteckt, war zurückgekommen und hatte um seinen alten Job gebeten. Hut ab! Aber Jacobs hoffte trotzdem noch, dass sein Boss diesem großkotzigen Mistkerl einen Arschtritt gab, denn Eamonn Docherty Junior war der Ärger in Person, und Dixon hätte das schon längst kapieren müssen.
Der Sonnabend war ein strahlender Apriltag und versprach viel Wärme. Cathy tauschte ihren Mantel gegen ein hellblaues Seidenkreppjackett von Biba aus. Sie sah darin sehr hübsch aus.
Kaum war sie an der Bethnal Green Station aus dem Taxi gestiegen, atmete sie gleich die Düfte des East End ein: das Aroma von warmem Brot, vermischt mit dem Geruch der Fischstände. Sie sah kleine Jungen auf dem Weg zu den Synagogen und andere, die Reisig und Streichhölzer mit sich trugen, um Feuer zu entfachen und am Sabbat gegen einen Penny Lichter für die orthodoxen Juden anzuzünden. Sie sah Frauen mit Lockenwicklern unter bunten Kopftüchern auf dem Weg zum Einkaufen auf der Roman Road und die Straßenfeger, die Papier sammelten und Flaschen aufhoben, die vom Fischessen am Freitagabend liegen geblieben waren.
Frohgemut schlug sie den Weg zur Vallence Road ein, wo Madge wohnte - und blieb abrupt stehen. Sie durfte nicht zu den ehemaligen Nachbarn gehen. Ganz bestimmt waren dort die Bullen aufgetaucht, und noch war sie eine Ausreißerin. Also machte sie kehrt und ging in Richtung Code Street in Shoreditch. Am besten suchte sie Betty auf, die bestimmt über alles Bescheid wusste, was im Moment los war, und die Cathys Besuch auf jeden Fall geheim halten würde.
Cathy wusste, dass die Leute sie bemerken und eventuell sogar wiedererkennen würden, aber sie wusste auch, dass sie inzwischen kaum noch Ähnlichkeit mit der Tochter von Madge hatte, als die viele sie in Erinnerung haben mochten.
Auf dem Weg sah sie sich immer wieder um und hielt nach vertrauten Gesichtern Ausschau. Einige erkannte sie, ging aber einfach weiter, denn sie wusste, wenn sie stehen bleiben und plaudern würde, spielte sie mit dem Feuer. Die Leute im East End waren grenzenlos neugierig. Sie durfte ihnen nichts erzählen, und das nicht etwa, weil sie ihnen nicht trauen konnte, sondern weil das, was sie nicht wussten, sie auch nicht in Schwierigkeiten bringen konnte.
Wenn sie befragt wurden, konnten sie die Wahrheit sagen: Sie hatten sie nicht gesehen.
Als sie die Treppen zu Bettys Wohnung hinaufstieg, schlug ihr
das Herz bis zum Hals. Aber als sie geklopft hatte und die Tür geöffnet wurde, musste sie über das verdutzte Gesicht der Freundin ihrer Mutter lachen.
»Ich bin es, Betty. Cathy Connor.«
Bettys Miene erhellte sich. Die Frau zog das Mädchen herein und schlug die Tür zu. Sie umarmte Cathy und drückte sie so fest an die Brust, als sei sie ihr eigenes verlorenes Kind.
»Ach, Schätzchen, ich bin vor Angst um dich fast umgekommen.«
Cathy entwand sich der Umarmung und sagte frohgelaunt: »Bekomme ich hier vielleicht auch ein Tässchen?«
Betty fasste sie an der Hand und schleifte sie mit in die Küche, wobei sie unentwegt schwärmte, wie schön Cathy doch aussah, wie erwachsen und wie wohlhabend. Als sie den Kessel aufsetzte, sagte sie spitzfindig, aber auch neugierig: »Setz dich, Kleines, und erzähl mir, was du machst, dass du so wundervoll aussiehst.« Die Bewunderung in ihrer Stimme tat Cathy gut, aber sie verstand durchaus, was sich hinter der Frage verbarg.
»Nun, das mach ich jedenfalls nicht, worauf du wohl hinauswillst.«
Es sollte wie ein Scherz klingen, aber Betty hörte sehr wohl die Untertöne heraus. Grinsend sagte die alte Dirne: »Das will ich auch verdammt nochmal hoffen! Aber nun - was machst du also, Liebes? Ich meine, sechs Monate lang hat niemand was von dir gehört. Setz dich ordentlich hin, und dann erzähl mir alles, was passiert ist.«
Cathy zog ihre Jacke aus und fing zu erzählen an, als sie ihre Tasse Tee bekommen hatte. Zuerst berichtete sie Betty von der Benton School for Girls, aber dann hielt sie inne und sagte bedrückt: »Es hat keinen Zweck, Betty, ich kann mich nicht konzentrieren, solange du mir nicht erzählt hast, was mit meiner Mom los ist. Du bist die Einzige, die mir wirklich helfen kann. Es tut mir
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