Die Aufsteigerin
Zeit, die ich in dieser elenden Schule war …« Sie konnte nicht weitersprechen. Tränen schossen ihr in die Augen, als sie zur Tür ging.
»Cathy, geh nicht!«, rief er hinter ihr her. »Entschuldige, Cathy …«
Caroline, die in der Küche alles mit angehört hatte, schloss wegen der Gefühle, die Eamonns Stimme verriet, enttäuscht und traurig die Augen. Sie wusste, dass er auch in einer Million Jahre nicht dasselbe für sie empfinden würde.
Cathy warf einen Blick zurück und schüttelte den Kopf.
»Ich bleibe nicht. Mir reicht, was ich gesehen habe, danke. Du hast mich nicht einmal gefragt, was ich in den letzten sieben Monaten erlebt habe. Wie ich mich durchgeschlagen habe, wie
ich aus dieser verfluchten Gefängnisschule rausgekommen bin, in die sie mich geschickt haben. Du hast dich nicht nach mir erkundigt, denn seit wir kleine Kinder waren, hat es immer nur dich gegeben. Nur um dich ging es, allein du warst wichtig. Aber jetzt tu mir einen letzten Gefallen, Eamonn, such dir einen Job und leb dein Leben. Kümmer dich um Caroline da drinnen …« Sie nickte in Richtung Küche. »Die ist nämlich die Einzige, die sich noch mit dir abgibt. Du bist ein selbstsüchtiger und eingebildeter Mistkerl, und, bei Gott, ich wünschte, ich hätte das schon vor Jahren gemerkt. Du hast deinen Dad verachtet, aber ich will dir eins sagen - ein Mann von seinem Format wirst du im Leben nicht werden.«
Sie ging zur Eingangstür. Er war verwirrt, dass sie von einer Schule gesprochen hatte, obgleich er doch wusste, dass sie es bei Pflegeeltern gut gehabt hatte. Er hielt sie jedoch nicht zurück, um nachzufragen, sondern pöbelte: »Los doch, verpiss dich, kleines Luder! Raus mit dir. Wer braucht dich schon? Du warst doch diejenige, die mich nötig gebraucht hat, Kleine. Ihr alle braucht mich.« Er hatte sich mittlerweile vom Bett aufgerappelt, und Caroline eilte ins Zimmer, um ihn zurückzuhalten. Er stieß sie brutal von sich.
Cathy sah die beiden an und schüttelte den Kopf. »Sieh dich nur an, Eamonn. Sieh dich nur mal an von oben bis unten. Und zwar genau. Du bist der reine Abschaum. Leider ist mir das erst heute klargeworden.«
Sie öffnete die Tür und kehrte ihm den Rücken. Noch im Treppenhaus hörte sie seine obszönen Verwünschungen und zog die Schultern hoch, als müsse sie vor ihnen in Deckung gehen.
Im Tageslicht der Straße atmete sie tief durch und ging hoch erhobenen Kopfes davon, wenn auch die unterdrückten Tränen der Demütigung ihr in den Augen brannten. Sie hielt ein Taxi an und fuhr zurück nach Soho, zu Desrae und einem Leben, das ihr Frieden bot, wenn schon nicht das große Glück. Sie hatte getan,
was sie hatte tun wollen, und jetzt musste sie von einem neuen Ausgangspunkt weitermachen.
Auch wenn es ihr fast das Herz gebrochen hatte, Eamonn dort zurückzulassen.
Eamonn hatte jetzt schon fast eine halbe Stunde lang gehadert, gewütet und getobt, und Caroline war es allmählich leid. Der Anblick der jungen Cathy mit ihrem seidigen Haar und den hübschen Kleidern hatte ihr die Augen dafür geöffnet, wie sehr sie selbst sich schon seit langem gehenließ.
Eamonn hatte sie nach seinem Gutdünken zu formen versucht, hatte sie zu einem Abklatsch von Madge und all den anderen Dockschwalben machen wollen, bei denen er aufgewachsen war. Wie sein Vater brauchte auch er eine Frau, die ihm alles gab. Noch brauchte er zwar kein Geld, aber er brauchte bedingungslose Unterwerfung. Eine Frau musste kuschen und ihm zu Willen sein. Musste in ihm den Gebieter sehen. Auf dem Stuhl, auf dem Cathy gesessen hatte, hörte sich Caroline jetzt an, wie er die gesamte weibliche Menschheit zum Teufel wünschte. Es schauderte sie.
Sie legte eine Hand auf den Bauch. Wenn sie sich nicht irrte, wuchs darin ein Baby, und sie wusste, dass sie deswegen in der Falle saß.
Bis heute, da sie erlebt hatte, wie Cathy Eamonn rückhaltlos die Meinung gesagt hatte, war Caroline überzeugt gewesen, alles zu haben, was sie sich wünschen konnte. Sie hatte Eamonn, den harten Burschen, den Arbeiter. Sie hatte zusammen mit ihm ein Heim, und es war ein Baby unterwegs. Jetzt aber wusste sie nur noch, dass sie einen gestörten Jungen mit vielen Problemen hatte, der einen Hang zur Brutalität besaß und beinahe krankhaft eifersüchtig war.
Zusammengesunken auf dem Stuhl fragte sie sich, wie sie in diese Lage hatte geraten können. Sie blickte in den Spiegel auf der Kommode, sah ihr Abbild und schüttelte den Kopf. Sie sah
grässlich aus.
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