Die Aufsteigerin
ihr Mund war sinnlich und sexy. Ihre hohen Wangenknochen betonten die afrikanischen Züge. Ihre Zähne schimmerten blendend weiß, und sie sah aus, als sei ihr ständig zum Lächeln zumute.
In diesem Moment allerdings nicht. Sie stand auf der Schwelle eines eleganten Hauses in der Nähe der Kensington High Street, kerzengerade und mit einem kleinen Jungen auf dem Arm. Cathy und Richard waren beide beeindruckt von der Gelassenheit und Würde, die sie ausstrahlte.
»Shaquila Campbell?«, erkundigte sich Richard.
Die Frau nickte. Sie schob ihr Kind ein wenig höher auf die Hüfte und musterte die Besucher, bevor sie fragte: »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin von der Polizei. Ich muss Ihnen einige Fragen stellen, die Ihren Bruder Trevale betreffen.«
Die junge Frau verlor die Beherrschung und versuchte vergeblich, ihnen die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Richard hielt dagegen und stieß sie mit sanfter Gewalt wieder auf.
»Ich rate Ihnen, uns hereinzulassen. Sonst muss ich mit einem Beschluss wiederkommen, und das macht die Sache für Sie nur unangenehmer. Wir möchten uns doch nur ein wenig mit Ihnen unterhalten.«
Shaquila biss sich auf die Lippe. »Ich kann Ihnen über meinen Bruder nichts sagen.« Jetzt klang sie ganz und gar jamaikanisch und völlig anders als zuvor.
»Bitte lassen Sie uns herein«, sagte Cathy. »Es ist wichtig, dass wir mit Ihnen reden.« Sie konnte die Angst der jungen Frau praktisch riechen und litt mit ihr.
Nachdem sie im karg möblierten Wohnzimmer Platz genommen hatten, ergriff Richard das Wort. »Haben Sie eine Ahnung, wo sich Terry dieser Tage aufhält?«
Shaquila antwortete achselzuckend: »Nein. Wieso sollte ich auch?«
»Es heißt, dass Sie und Ihr Bruder einander sehr nahestehen.«
Obwohl Richard in sachlichem Ton gesprochen hatte, merkte Shaquila sofort, worauf er hinauswollte, und senkte den Blick. »Natürlich stehen wir einander nahe. Er ist mein Bruder.«
»Er ist außerdem der Vater Ihrer Kinder. Das nennt man Inzest, und soweit ich weiß, gibt es dazu in unserem Land Gesetze.«
Shaquila lächelte kühl. »Es ist absolut legal. Wir sind beide volljährig und können in unseren vier Wänden tun, was uns gefällt. Das weiß ich genau. Wenn Sie und diese Lady jetzt mit dem Verhör fertig sind, verlassen Sie bitte meine Wohnung. Ich weiß nichts von Terry. Ich weiß nicht, wo er ist, noch wo er wohnt oder mit wem er sich trifft. Sie verschwenden also nur Ihre Zeit.«
Richard sah sie böse an. »Sie wissen, womit er es zu tun hat, oder? Sie wissen, dass er Kinder von der Straße holt und sie für seine Partys und seine Pornofilme benutzt - Privatpartys, auf denen Jungen und Mädchen, zum Teil noch Kinder, wieder und wieder von brutalen Männern vergewaltigt werden? Ihr Sohn ist ein süßes Kerlchen. Soweit ich weiß, hat er auch eine Schwester. Glauben Sie, Terry wird vor seiner Tochter haltmachen, wo er sich doch schon seine eigene Schwester vorgenommen hat? Denken Sie darüber nach, was ich gesagt habe, Shaquila, denn solange Sie und Ihre Mutter ihn decken, nimmt er sich das Recht zu tun, was ihm gefällt.«
Richards Piepser meldete sich. »Im Flur ist ein Telefon. Darf ich es benutzen?«
Shaquila zuckte ergeben die Achseln. Sie wusste, dass er es tun würde, ob sie zustimmte oder nicht.
Fasziniert und mitfühlend zugleich betrachtete Cathy die junge Frau. »Richard hat Recht«, sagte sie, »wir sind in dieser Sache auf Ihre Hilfe angewiesen.«
Shaquila strich sich mit dem Handrücken müde übers Gesicht. »Ich rede nicht mit der Polizei. Das verstehen Sie doch wohl?«
Cathy grinste. »Ich bin nicht von der Polizei, meine Gute. Ich
bin Clubbesitzerin in Soho und versuche herauszufinden, warum einer meiner Angestellten Selbstmord begangen hat. Anscheinend hat Ihr Bruder eine Menge damit zu tun. Ich muss wissen, ob der Mann in meinen Geschäften illegale Artikel verkauft hat, die von Ihrem Bruder stammen … Es geht nicht nur um die betrügerischen Verkäufe unter dem Ladentisch, sondern es ist der Inhalt der Filme, der mir Sorgen macht«, fuhr sie fort. »Vor langer Zeit war auch ich mal ein Straßenmädchen. Ich weiß, was die Kids da draußen erwartet. Was auch immer er Ihnen bedeutet, ist Ihr Bruder doch für sehr viel Leid und Erniedrigung verantwortlich und auch dafür, dass viele junge Menschen sterben, Mädchen wie Jungen. Wussten Sie das? Er durchstreift die Straßen auf der Suche nach schutzlosen Jugendlichen, macht ihnen große Versprechungen und
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