Die Aufsteigerin
oder? Kann sie doch nicht einfach auf die Straße setzen.«
Desrae schüttelte verständnisvoll den Kopf. »Hier, das ist für Sie.« Er drückte ihr einen Zwanzigpfundschein in die Hand. »Nehmen Sie ein Taxi. Und hier, schreiben Sie mir auch Ihre Adresse auf. Ich werde in mich gehen und sehen, ob mir was einfällt. Okay? Ich will Sie ja nicht rausschmeißen, aber Kitty, Cathys Tochter, kommt gleich, und es ist wohl besser, wenn das Mädchen Sie nicht sieht.«
Betty nickte. »Ich wette, sie ist ‘ne Schönheit. Cathy war als Kind mächtig hübsch - echt umwerfend. Ich hab damals Madge um das kleine Ding beneidet, das kann ich Ihnen sagen. Ich hätte sie zu mir holen sollen … Madge hätte es wahrscheinlich gestattet. Aber was geschehen ist, ist geschehen, stimmt’s? Daran kann man wohl nichts mehr ändern.«
Desrae schüttelte bekümmert den Kopf. »Da haben Sie Recht. Wir werden auf Cathy achten und dafür sorgen, dass ihr nichts passiert, hm?«
Betty lächelte, froh, dass sie jetzt jemanden zur Seite hatte. »Sie sind eine sehr nette Frau, Miss Desrae. Cathy kann von Glück sagen, Sie gefunden zu haben.« Die Worte waren aufrichtig, und Desrae lächelte traurig.
»Nein, ich war die Glückliche. Also, erstmal vielen Dank.«
Er brachte sie zur Tür und griff nach dem Telefon. Es gab nur eine Person, die in dieser Lage etwas bewirken konnte, und das war Susan P.
Madge sah furchtbar aus. Sie ging die Roman Road entlang, und die Leute starrten ihr hinterher. Vor Jahren hätte sie jedermann gegrüßt, und auch jetzt wusste sie das eine oder andere Gesicht einzuordnen, aber sie wusste auch, dass niemand sie erkennen konnte. Ihr Gesicht war gezeichnet von den Gefängnisjahren, von Narben zerfurcht. Ihr Haar war grau, strähnig und ungekämmt. Ihre Augen wurden von hässlichen Tränensäcken verunziert.
Man sah ihr an, was sie war, und das wusste sie auch.
An einem Marktstand mit gebrauchter Kleidung blieb sie stehen. Sie war auf der Suche nach einem Kleid oder Kostüm, einem guten Mantel und vielleicht noch einem Paar Schuhe. Die Sachen aus dem Gefängnis konnte sie gewiss nicht mehr tragen, und ihr war klar, dass sie sich ein wenig zurechtmachen musste.
Besonders wenn sie ihr Mädchen besuchen wollte. Bei dem Gedanken lächelte sie.
Nach zwanzig Minuten und einigen rabiaten Rangeleien mit anderen Kundinnen war sie fündig geworden, und als sie den verlangten Preis herunterhandelte, erhob die Standinhaberin keinen Einwand, denn sie wollte sich mit dieser Frau nicht anlegen. Sie sah zu furchterregend aus, und die Narben in ihrem Gesicht kündeten deutlich genug von einem Knastaufenthalt.
Madge blieb den ganzen Nachmittag auf der Roman Road, erfreute sich an vertrauten Anblicken und Gerüchen. Sie gönnte sich eine Portion Aal und aß sie gleich am Stand. Sie sah sich ausgiebig um.
Sie war tatsächlich draußen, sie war zu Hause. Aber sie hatte alte Rechnungen offen, und die würde sie begleichen.
Betty machte Tee. Sie war vor Madge zu Hause gewesen und froh darüber. Ihre Freundin brauchte nicht zu wissen, dass sie unterwegs gewesen war.
»Hattest du’s nett, Schatz? Die Sachen stehen dir prima.«
Madge nickte und nippte an ihrem Tee.
»Komm schon, freu dich doch«, drängte Betty. »Du bist jetzt draußen. Bald hast du deine eigene kleine Wohnung und kannst ein neues Leben anfangen.«
Madge sah ihre Freundin lange an. Als die schließlich lachte, lief es Betty eiskalt den Rücken hinunter.
»Hör schon auf, Madge, das sollte kein Scherz sein.«
Sie hörte zu lachen auf. Voller Ingrimm sagte sie: »Aber es ist ein Scherz, oder?« Mit gespielt verwunderter Miene sagte sie: »Also, ich sitz für meine Tochter im Gefängnis - meine Tochter,
die Puffmutter -, und sie führt ein feines Leben, hat einen netten Mann, Geld, genießt Ansehen, die ganze Scheißpalette. Und was krieg ich? Einen Scheiß krieg ich! Und du findest das nicht witzig, Betty? Du hast wohl auf deine alten Tage den Sinn für Humor verloren. Ich persönlich find das rasend komisch. Aber ich werd es ihr schon zeigen, da mach dir mal keine Sorgen«, sagte sie verbissen. »Ich werd’s ihr ein für alle Mal zeigen. Ein Teufelsbraten ist sie! Hat mir von Geburt an keinen einzigen Tag Ruhe und Frieden gegönnt. Hätte sie die Toilette runterspülen sollen wie die anderen.«
Betty reagierte schockiert, was Madge abermals zum Lachen brachte.
»All die verfluchten Jahre und kein einziges Wort von ihr. Du hast ja keine Ahnung, wie es
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