Die Aufsteigerin
geliebt, die so hemmungslos wie pervers gewesen war. Sie starb noch im selben Jahr und wurde neben ihm bestattet. Dafür sorgte Shaquila. Aber es wurde kein Grabstein aufgestellt, gar nichts. Kein einziger Hinweis darauf, dass sie gelebt hatten.
Auch dafür sorgte Shaquila.
Kapitel sechsundvierzig
Kitty öffnete die Wohnungstür. Als sie sah, wer der Besucher war, kreischte sie vor Freude. »Mom, es ist Richard!«
Sorgsam darauf bedacht, seine gewohnt verbissene Miene zu verbergen, betrat er die Wohnung. Kitty verehrte ihn, und wenn sie sich sahen, gelang es ihm, wie ein gütiger Onkel zu wirken.
»Hallo, Kitty Cat, wie geht es dir?«
Sie umarmte ihn. In seiner Gegenwart fühlte sie sich sofort wohl und gut aufgehoben.
»Prima. Tante Susan kommt später auch. Bleibst du noch ein bisschen?«
Mit rauer Stimme sagte er: »Nur ein paar Minuten.«
Cathy machte gerade Kaffee, als er in die Küche kam. Sie lächelte ihm zaghaft entgegen. »Hallo, Richard. Setz dich doch. Ich mach uns einen Drink, dann können wir reden.«
Cathy beobachtete, wie er mit Kitty spielte. Richard hatte etwas an sich, das manche Menschen bewegte, ihn zu lieben, und andere, ihn zu verabscheuen. Sie und ihre Tochter liebten ihn. Richard war für Kitty ein Rückhalt, der liebe Onkel, der ihr Süßigkeiten gekauft hatte, als sie klein war, und Fan-Zeitschriften, als sie zur jungen Frau heranwuchs. Auch jetzt kam er nicht mit leeren Händen.
Er öffnete seinen Mantel, zog zwei Zeitschriften hervor und steckte sie dem Mädchen unter dem Tisch zu. Kitty stahl sich mit ihnen davon, und Cathy musste lachen.
»Ihr seid unverbesserlich«, sagte Cathy mit einem Augenzwinkern
und fügte hinzu: »Aber das dürfte nicht der Grund deines Besuchs sein, oder?«
»Nein.« Er holte tief Luft. »Deine Mutter wurde vor ein paar Tagen entlassen. Ich habe erst heute Morgen davon gehört und dachte, dass ich dich vorwarnen sollte.«
Cathy wurde schreckensbleich. »Sind wir in Gefahr?«, fragte sie schließlich.
»Ich hab keine Ahnung«, räumte Richard ein. »Sie war zuletzt in einer kleinen Klinik in Essex, wo man sie psychiatrisch behandelt hat. Anscheinend verbesserte sich ihr Zustand so, dass man sie entlassen hat. Aber jetzt weiß niemand, wo, zum Teufel, sie abgeblieben ist. Man hatte für eine Unterkunft gesorgt, Sozialarbeiter hatten ihre Wiedereingliederung vorbereitet, und sie sollte als Tagespatientin im Basildon Hospital aufgenommen werden, aber Madge hat sich wohl verpisst, kaum dass man sie aus den Augen ließ. Seither hat man von ihr weder etwas gehört noch gesehen.«
Cathy biss sich auf die Lippe.
»Sie ist als manisch-depressiv eingestuft«, fuhr er fort. »Solange sie ihre Medikamente nimmt, geht es ihr so weit gut. Jetzt hat sie sich anscheinend entschlossen, ohne ärztliche Betreuung auszukommen, und ich halte es, ehrlich gesagt, für besser, eine Weile auf der Hut zu sein. Sie taucht bestimmt auf.«
Cathy unterbrach ihn. »Bestimmt auf der Straße. Die Hälfte der Stadtstreicherinnen kommt doch aus psychiatrischen Kliniken, oder? Ist sie gefährlich, Richard? Bitte sag es mir. Nicht um meinetwillen, sondern wegen Kitty. Ich muss es wissen.«
Er zuckte die Achseln. »Das ärtzliche Gutachten besagt, dass sie für die Gesellschaft keine Gefahr darstellt, denn anderenfalls hätte man sie gar nicht entlassen. Ob sie aber eine Gefahr für dich ist, kann ich wirklich nicht sagen.«
Cathy steckte sich eine Zigarette an und inhalierte tief. »Immer wieder was Neues«, sagte sie müde.
»Halt einfach die Augen offen, mehr musst du gar nicht tun.
Wenn sie auftaucht, wissen wir alle wenigstens, woran wir sind. Vielleicht ist sie lammfromm.«
»Trotzdem - ich mache mir Sorgen. Wie gesagt, nicht um meinetwillen, sondern es geht um Kitty. Ich hab ihr nichts von Granny erzählt. Aber du hast ja Recht. Warten wir erstmal ab.« Sie trank ihren Kaffee aus. »Ich muss mir trotzdem etwas einfallen lassen, stimmt’s?«
Richard nickte. »Das denke ich auch. Aber zerbrich dir nicht im Voraus den Kopf, sondern warte ab, was geschieht, hm? Jetzt muss ich leider weg, denn schließlich hab ich auch noch einen Job.«
Nachdem er gegangen war, blieb Cathy am Tisch sitzen und dachte über die neue Situation nach. Wollte sie ihre Mutter sehen, wollte sie ihre Mutter nicht sehen? Viel Zeit war vergangen. Zu viel Zeit, um einander noch zu kennen. Beim Gedanken an ihre Kindheit versuchte sie, sich nur an die guten Momente zu erinnern, an die vergnüglichen
Weitere Kostenlose Bücher