Die Aufsteigerin
du kannst herausfinden, was ich alles habe, und dann versuchst du, es mir abzuluchsen.« Dann warf sie einen schnellen Blick auf Cathy und sagte freundlich: »Benutz die Klinge. Lass ihn bezahlen.«
Stumm sahen ihr die anderen Mädchen nach, als sie davonging.
»Völlig bescheuert!«, murmelte Denise vor sich hin, denn so klein Lady C. auch sein mochte, war sie doch auch schwer gestört. Also erregte man tunlichst nicht ihren Jähzorn, es sei denn, man war mit einem Klauenhammer bewaffnet.
Cathy sah sich nochmals die Klinge an, und Denise nahm sie ihr aus der Hand.
»Die brauchst du sowieso nicht. Bis du hier offiziell eingewiesen bist, kann dir eigentlich nichts passieren. Ich mein, bis vom Gericht die Papiere unterschrieben sind. Heute spielt er nur ein bisschen mit dir rum. Will dir Angst machen. Das weiß ich, weil er es auch mit Sally so gemacht hat, als die hier eingeliefert wurde. Mehr wagt er nicht, denn es könnte ja jemand kommen, der für dich zuständig ist oder dich woanders einliefern will. Eine letzte Warnung noch: Er stinkt. Halt dich so weit fern von ihm, wie es geht.«
Cathy nickte. Sie gab sich große Mühe, sich alles Gehörte zu merken und ihre Gedanken zu ordnen. Wie schwer ihr das fiel, ließ sich an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, und Denise nahm ihre Hand.
Mitfühlend sagte sie: »Lass dich von dem alten Bock nicht unterkriegen. Das ist er nicht wert. Wert ist es keiner von denen.
Die tun so, als wären wir nicht mehr als Hundescheiße unter ihren Schuhsohlen, aber in Wirklichkeit sind wir besser als die alle zusammen. Wir sind Kinder, die sind erwachsen. Sie wissen, dass wir ihre Gefangenen sind, dass wir nirgends hingehen und niemand etwas sagen können. Aber wir wehren uns auf unsere Weise, und das musst du auch lernen. Lass ihn wissen, dass du die Mörderin bist, nicht deine Mutter, aber gib es nicht so rundheraus zu. Jag dem dreckigen alten Bock erstmal einen richtigen Schreck ein, und verlier nicht den Kopf. Benutz ruhig die Scheißklinge, wenn du möchtest, aber denk immer dran, wenn du ihm eine Wunde zufügst, hat er was Vorzeigbares gegen dich in der Hand und kann dich noch länger hier einsperren.«
Cathy sah es ein und nickte. Während der letzten paar Tage war ihr Leben auf den Kopf gestellt worden, und es fiel ihr ungemein schwer, sich zu orientieren und durchzustehen, was auf sie einstürzte, zumal es von Tag zu Tag schlimmer wurde.
»Mein Freund kommt und holt mich«, sagte sie mit rührender Tapferkeit. »Eamonn wird mich holen. Das weiß ich genau.«
Denise zuckte die Achseln und schmunzelte. »Träum weiter, Kleine.«
Cathy sah sie finster an. Nach einem tiefen Seufzer sagte Denise: »Mach dir doch nichts vor, verdammt. Es gibt einen Weg nach draußen, aber der ist fies. Wenn du es wirklich tun willst, dann komm ich mit dir. Aber bis dahin dauert es noch. Im Moment freu dich einfach, wenn du den Abend heute überstehst und die nächsten paar Wochen.«
Bevor Cathy antworten konnte, betrat Deidre zusammen mit zwei Wärterinnen den Raum. Diese Frauen wurden nicht Wärterinnen genannt, sondern als Betreuerinnen bezeichnet, und obwohl beide bullig und äußerst energisch wirkten, hatten Miss Brown und ihre Kollegin Miss Jones offenbar eher letztere Funktion inne. Sie wurden wegen ihrer Kraft und ihrer Fairness von allen Mädchen respektiert. Sie erledigten ihre Aufgabe und behielten die eigene Meinung für sich. Wenn sie auch nicht besonders
freundlich auftraten, so blieben sie doch immer unparteiisch und missbrauchten niemals ihre Macht wie Mr. Hodges, Miss Henley oder auch Deidre.
Jetzt wies Miss Brown mit dem Finger auf Cathy und sagte: »Komm mit. Mr. Hodges will dich sehen.«
Cathy verließ den Raum, in dem es still geworden war, und folgte ängstlich der Frau. Miss Brown hatte riesige Füße, die in schweren braunen Schuhen steckten. Durch die schwarzen Strümpfe waren ihre drallen Waden gut zu erkennen, und Cathy sah zu, wie sie bei jedem Schritt in den zum Zerreißen gespannten Nylons bebten.
Als die Frau stehen blieb, wäre Cathy fast mit ihr zusammengeprallt. Miss Brown dreht sich um, sah auf sie hinunter und fragte freundlich: »Hast du Angst?«
Cathy nickte. Ihr Gesicht mit den riesigen blauen Augen war fahlgrau angelaufen. Vor sich sah sie ein Gesicht mit ausgeprägten Wangenknochen, das etwas Slawisches hatte. Die mächtigen Arme der Frau ließen sich von Strickjacke und Bluse kaum bedecken, und sie ähnelte einem Mann in Frauenkleidern. Unverhofft
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