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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Vannoni.
    Alle schwiegen.
    »Also?«, fragte Vannoni.
    Zuerst nickte Franco Marcantoni, dann Antonietta. Zögernd stimmten auch die anderen reihum zu. Nur der Wortführer der beiden Afrikaner legte den Hammer nieder und sagte: »Tut mir leid, aber das macht ihr selbst. Vertrag hin oder her, für uns ist Schluss! Wenn wir wild darauf wären, in einen Krieg zu geraten, hätten wir auch in Afrika bleiben können.«
    Vom ersten Stock des leerstehenden Hauses gingen zwei Fenster zur Piazza hinaus. Darunter lag das Flachdach des Zielobjekts. Wer sich im Büro befand, konnte die Fenster oberhalb nur einsehen, wenn er mindestens zwei Meter vor die Tür trat. Menschlichem Ermessen nach würde der Geiselnehmer alles andere als das tun, doch menschliches Ermessen genügte nicht, wenn man sich nicht den geringsten Fehler erlauben durfte. Deswegen sollten die Fensterläden bis zum letzten Moment geschlossen bleiben. Enrico Munì hielt das für eine richtige Entscheidung, obwohl es ihm nicht oblag, das zu beurteilen.
    Dass seine Kameraden so auch ihrerseits keinen Blick auf das Zielobjekt hatten, war zu verschmerzen. Sie hatten alles vorbereitet, jede Bewegung in Gedanken hundert Mal durchgespielt. Sie würden losschlagen, wenn man es ihnen sagte. Bis dahin mussten ihre Augen eben durch die der anderen, günstiger postierten Kameraden, mit denen manin ständigem Sprechfunkkontakt stand, ersetzt werden. Innerhalb des NOCS war man dazu verdammt, sich aufeinander zu verlassen. Das konnte man auch. Nicht umsonst galten sie als die Eliteeinheit der Staatspolizei. Und Enrico Munì war immer noch einer von ihnen.
    Nach dem Desaster mit der alten Hexe, die mit ihrem Geschrei den ersten Zugriff vereitelt hatte, war Munì vom Einsatzleiter gefragt worden, ob er Urlaub beantragen wolle. Er hatte knapp verneint und sich nicht anmerken lassen, wie sehr ihn das Angebot getroffen hatte. Sie hatten ihn weitermachen lassen, doch hundertprozentig schienen sie ihm nicht mehr zu trauen. Jedenfalls war ausgerechnet er dazu bestimmt worden, der Einsatzgruppe den Rücken freizuhalten, während Nummer 1 bis 3 sich aufs Dach hinablassen und stürmen würden.
    Jetzt saß Munì im Dunkeln auf der Treppe, die vom ersten Stock nach unten führte. Nur durch den Milchglaseinsatz in der Haustür fiel ein wenig Licht herein. Wahrscheinlich der Widerschein einer Straßenlaterne. Munì hatte eine Stufe im oberen Drittel gewählt, von der aus die Tür gerade noch zu sehen war. Sie ging auf die dem Zielobjekt abgewandte Seite hinaus, so dass der Geiselnehmer hier nicht auftauchen konnte. Und sonst durfte sich nach menschlichem Ermessen kein Unbefugter in der Sperrzone befinden. Dennoch musste der Hauseingang gesichert werden, und das würde Munì auch tun. Auf ihn konnte man sich verlassen.
    Zum x-ten Mal überlegte er, worin sein Fehler eigentlich bestanden hatte. Dass er die Alte für tot gehalten hatte? Sie war in stockdunkler Nacht von vermummten Männern blitzschnell überwältigt worden. Ein Schock war das Mindeste, was man hierbei erwarten durfte. Dann war sie zusammengeklappt und hatte völlig leblos in Munìs Armen gehangen. Nein, da hätte jeder der Kameraden das Gleiche gedacht wie er! Aber sie hätten vielleicht die Hand nicht vom Mund der Alten genommen. Wenn sie wirklich nichtmehr lebte, brauchte sie ja nicht mehr zu atmen, und wenn sie abgefeimt genug war, in so einer Situation die Tote zu spielen, hatte man allen Grund, sie unter Kontrolle zu halten. Das hätte Munì klar sein müssen. Niemals hätte er die Hand wegnehmen dürfen.
    Ihn verstörte nur, dass er wider alle Vernunft denselben Fehler wieder begehen würde. Er würde niemandem den Mund zuhalten können, den er für tot hielt. Das gehörte sich nicht. Es war ekelerregend, abstoßend und irgendwie obszön. Aus welchem Grund auch immer, er würde so etwas auch in Zukunft nicht fertigbringen.
    Munì wusste, dass keiner seiner Kameraden ihn verstehen würde. Er verstand sich ja selbst nicht. Im Allgemeinen hielt er sich keineswegs für zart besaitet. Als er sich für den NOCS beworben hatte, war er sich darüber klar gewesen, was von ihm verlangt wurde. Entschlossenheit, Rücksichtslosigkeit, die Bereitschaft, notfalls zu töten, ohne mit der Wimper zu zucken. Er hatte nicht nur eingesehen, dass das nötig war, sondern hatte aus tiefster Überzeugung dahintergestanden. Dass man manchmal gezwungen sein könnte, vermeintlich Toten den Mund zuzuhalten, damit hatte er nicht gerechnet.
    In den

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