Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
Vom Netzwerk:
Lage gewesen war, einer alten Hexe die Luft abzudrehen.
    Vorn an der Mauer wechselten sich Mamadou, Angelo, Ivan, Donato und Matteo Vannoni ab. Wegen des beengten Raums konnte immer nur einer auf die Mauersteine einschlagen, und das tat er mit all seiner Kraft. Länger als ein paar Minuten hielt keiner durch. Franco Marcantoni hatte sich bereit erklärt, dem Frontmann mit einer Taschenlampe zu leuchten, offensichtlich aber nicht bedacht, dass er bei jedem Wechsel ebenfalls aus dem Tunnel heraus-und dann wieder hineinkriechen musste. Mit Verweis auf seine Bandscheiben gab er den Job an Marta Garzone ab. Auf weitschweifige Erläuterungen zu seinem sonst fast optimal zu nennenden Gesundheitszustand verzichtete er überraschenderweise.
    Auch bei den anderen herrschte eine gespannte Stimmung. Dass sie kein Spiel spielten, war ihnen von Anfang an klar gewesen. Je näher sie jetzt Minhs Büro kamen, desto mehr befürchteten sie, dass alles blutig enden würde, selbst wenn sie nicht entdeckt würden und vor dem Angriffsbefehl des Krisenstabs an Ort und Stelle wären.
    »Wie sieht es aus?«, fragte Franco in den Tunnel hinein.
    Das Hämmern setzte für einen Moment aus. Ivans Stimme flüsterte dumpf: »Gut. Noch eine Viertelstunde vielleicht. Höchstens zwanzig Minuten.«
    »Mach schneller!« zischte Vannoni zurück.
    Die Schlaggeräusche waren viel zu laut. Die nächste und letzte Mauer, die Salviatis Keller von Minhs Untergeschoss trennte, konnte man keinesfalls durchbrechen, ohne dass der Geiselnehmer das bemerkte. Wie er dann reagieren würde, wusste man nicht. Es schien aber schwer vorstellbar, dass er untätig zusah, wie sie einen Stein nach dem anderen herausklopften. Man konnte nur hoffen, dass er keinen Plan B hatte und den Angriff der Spezialeinheit abwarten würde, egal, was bis dahin passierte. Vielleicht vermutete er ja, dass die NOCS-Agenten im Untergeschoss eindringen wollten, auch wenn es höchst unwahrscheinlich war, dass Profis so plump auf sich aufmerksam machten.
    »Lasst uns erst einmal bis in Salviatis Keller kommen!«, sagte Franco.
    Da würde man dann stehen, kurz vor dem Ziel, hätte zwanzig Stunden lang die Mauern zwischen drei Häusern eingerissen, ein Kinderzimmer, die Küche der Deutschen und Sgreccias Keller verwüstet, einen Tunnel unter der Straße zu einem vierten Haus gegraben, nur um am Ende nicht mehr weiterzuwissen. Aber daran wollte keiner denken, solange man sich noch mit Arbeit betäuben konnte.
    Franco versuchte jetzt doch, mit einer breit angelegten Kindheitsgeschichte zu landen. Als er gerade schilderte, wie er zusammen mit dem Americano ausgerissen war, um sich einem Wanderzirkus anzuschließen, eilte Antonietta die Treppe herunter. Franco brach mitten im Satz ab. Wenn nicht etwas Schwerwiegendes passiert wäre, hätte Antonietta ihren Beobachtungsposten oben am Fenster kaum verlassen. Ohne Umschweife berichtete sie, dass soeben ein gepanzertes Fahrzeug der Staatspolizei auf der Piazza vorgefahren sei.
    »Ein was?«, fragte Angelo. Das Hämmern hörte auf. In der Tunnelöffnung erschien erst Marta, dann Ivan Garzone.
    »Dicke Stahlplatten wie ein Panzer, nur ohne Geschützrohr«, sagte Antonietta. »Das Ding ist im Schritttempo angerollt und steht jetzt mit laufendem Motor keine zwanzig Meter vor Minhs Büro.«
    Alles drängte zur Treppe hin, doch da läutete Martas Handy. Milena Angiolini war dran. Sie meldete, dass gerade acht schwer bewaffnete Polizisten in Panzerwesten an ihrem Küchenfenster vorbeigezogen waren und die Absperrung passiert hatten. Nun schlichen sie auf Salviatis Haus zu. Man solle bloß von den Fenstern wegbleiben. Sie selbst ziehe jetzt die Kinder an und mache sich mit ihnen davon, Sperrstunde hin oder her. Die Kleinen sollten die Schießerei wenigstens nicht aus nächster Nähe mitbekommen.
    Tatsächlich waren all diese Truppenbewegungen kaum anders zu deuten. Der Sturm auf das Geiselnehmerhaus hatte soeben begonnen oder stand unmittelbar bevor. Die Einwohner von Montesecco hatten getan, was sie konnten, doch sie waren nicht schnell genug gewesen. Es war vorbei. Der Angriff rollte, und keiner von ihnen würde ihn stoppen können. Antonietta setzte sich auf die zweitunterste Treppenstufe, die anderen standen herum. Wortlos, stumm. Was gab es nun noch zu sagen?
    Doch was wie ein Fluch aus uralten Zeiten über sie gekommen war, bewirkte nicht allein Sprachlosigkeit. Es schien fast, als wären sie angesichts eines unausweichlichen Schreckens zu Stein erstarrt. Als

Weitere Kostenlose Bücher